Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
unverhältnismäßig groß geriet und derOberkörper dafür strichdünn, entsprach es ziemlich genau der Vorstellung, die sich BeGin und die Mädchen von der Erscheinung zurechtgelegt hatten.
»Woher hat er das? Übertragung? Eine telepathische Verbindung zu seiner Schwester?«
»Gedankenübertragung?« Claudia runzelte die Stirn. »Blödsinn, das gibt’s nur im Kino. Gib’s zu, Sophie, du hast ihm das eingepaukt!«
Sophie schüttelte den Kopf.
»Also ich war’s nicht!«, meinte sie bestimmt. »Aber da gibt’s garantiert ’ne einfache Erklärung. Zeig mir mal, was du in der Tasche hast, Bernie!«, befahl sie in strengem Tonfall.
»Hab nix inne Tasche«, beteuerte der Kleine.
»Doch! Ich hab gesehen, wie dir eine Tante vorhin was gegeben hat. Komm, ich sag Mama auch bestimmt nichts«, drängte Sophie. »Er darf von Fremden nichts annehmen, deshalb stellt er sich jetzt so an«, erklärte sie den anderen.
Bernie kramte inzwischen in seiner Jeanstasche.
»Ssöne Dame«, bemerkte er dann, während er seiner Schwester etwas schuldbewusst ein Heiligenbildchen entgegenstreckte.
»Da haben Sie Ihre Gedankenübertragung!« Gina lachte.
Das kitschige Bildchen zeigte eine Abbildung der Jungfrau Maria: in weißem Kleid, mit blauem Schleier, Rosen in der Hand und einem Drachen zu Füßen.
»Ssöne Dame hat’n Pokémon!«, erläuterte Bernie die Abbildung.
Doktor Hoffmann lachte schallend. »Da habt ihr ja noch Glück gehabt, dass ihm das vorhin nicht eingefallen ist. Das hätte die katholische Liturgie ganz schön durcheinander gebracht.«
»Jedenfalls haben wir unser Wunder«, freute sich Barhaupt und förderte eine Schnapsflasche aus einem versteckten Schreibtischfach. »Trinken wir auf die ewige Jungfrau – undwenn das denn schon nicht zu ändern ist, auf das Bein von Frau Hinzwegen!«
Es wurde dunkel, als Gina und Berit, begleitet von Pastor Jaeger und Doktor Hoffmann, endlich den Heimweg antraten. Ginas Jeep war inzwischen das einzige Auto an der Auffahrt zum Steinbruch.
»Sehr kreativ geparkt«, bemerkte Doktor Hoffmann. »Wahres Wunder, dass Sie hier kein Knöllchen gekriegt haben …«
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Wasser marsch!
P arken macht zwei Mark!« Kalle, die Glatze, die Gina und Berit schon bei ihrem ersten Besuch in Grauenfels willkommen geheißen hatte, hielt fordernd die Hand auf.
»Seit wann das denn?«, fragte Gina unwillig. Die Parkplätze vor Grauenfels’ Aldi waren letztes Mal noch nicht gebührenpflichtig gewesen.
»Seit hier so viel los is«, gab Kalle zurück. »Das is’n bewachter Parkplatz. Können Se froh sein, wenn Se noch mit drauf kommen, die anderen, näher am Steinbruch, sind schon dicht.«
Gina war sich eigentlich sicher, dass Barhaupt keine gebührenpflichtigen Parkplätze ausgewiesen hatte, fand die Geschäftstüchtigkeit der Grauenfelser Jugend aber förderungswürdig. Berit schien ebenso zu empfinden und reichte ihr ein Zweimarkstück. Gina parkte den Jeep zwischen zwei Autos mit Hamburger und Bochumer Kennzeichen.
»Hier tobt ja schon der Bär«, meinte Berit ungläubig. »Dabei ist es erst elf. Ich dachte, wir wären früh dran.«
Gina stellte sicher, dass sämtliche Autotüren abgeschlossen waren. »Gut, dass wir nicht jetzt erst losgefahren sind, wie eigentlich geplant. Aber was wir hier machen sollen, ist mir eigentlich rätselhaft. Wir werden die Eltern wohl kaum überzeugen können … Dürfen wir auch gar nicht. Wenn wir jetzt schon in Erscheinung treten, riechen die sofort Lunte.«
Am Samstag vor dem heutigen Erscheinungstermin hatte BeGin ein verzweifelter Anruf von Igor Barhaupt erreicht. Zwar liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren – Grauenfels’einzige Pension war seit Tagen ausgebucht, und die ersten Wohnmobile parkten bereits am Freitag an der Zufahrt zum Steinbruch. Allerdings hatten Sophies und Claudias Eltern die Teilnahme ihrer Kinder verweigert. Beide Mädchen berichteten von einem strikten Verbot, sich dem Wäldchen am Sonntag auch nur zu nähern. Barhaupt organisierte daraufhin einen Kriegsrat im inoffiziellen Hauptquartier. Pastor Jaeger sollte natürlich auch dabei sein. »Sie können ganz normal anreisen«, erklärte er Berit und Gina. »Hier geht es zu wie auf dem Rummelplatz, da fällt kein fremdes Gesicht mehr auf. Parken Sie aber nicht direkt vor meinem Laden.«
Der Platz vor Barhaupts Laden erwies sich um elf Uhr vormittags allerdings ohnehin schon als komplett zugeparkt. Die Menschen strömten zum Steinbruch. Gina und Berit fielen fast dadurch
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