Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Ruhe für die Meditation. Um diese Zeit pflegt sie zu beten, meistens ist sie im Wäldchen … und …«
»Frau Wahl ist in einer halben Stunde fertig mit den Tests, dann kann Claudia immer noch beten«, erklärte Berit bestimmt. »Sie haben der Untersuchung doch zugestimmt, Frau Martens. Warum wollen Sie das denn jetzt torpedieren?«
»Das hat doch nichts mit Torpedieren zu tun! Im Gegenteil, ich habe das größte Interesse daran, dass Claudia geistige Gesundheit bescheinigt wird. Schon damit man das Kind endlich ernst nimmt! Aber trotzdem muss ich mich um sie kümmern – Sie ahnen ja nicht, unter welcher Spannung sie steht! Und wie tief sie dann wieder in diese fast tranceartigen Zustände versinken kann! Das macht mir manchmal fast Angst! Schauen Sie, ich muss sogar aufpassen, dass sie regelmäßig isst! Und nun sorgen Sie endlich für eine Unterbrechung, sonst lasse ich das alles abblasen!«
Ruben beschloss, sich bemerkbar zu machen. Er klopfte gegen die offene Tür und vermerkte befriedigt, dass Berits blaue Augen bei seinem Eintreten aufleuchteten. Die junge Frau wirkte heute deutlich zerzauster als am letzten Sonntag. Ihr hellblaues Businesskostüm saß zwar tadellos, aber ihr Make-up war etwas verschmiert und ihr Pony stand hoch, als hätte sie ihn mehrmals fahrig aus dem Gesicht gestrichen. Das tat sie auch jetzt wieder, bevor sie aufstand, ihn begrüßte und Frau Martens vorstellte.
»Die Mutter eines der Seherkinder, ja?«, fragte Ruben scheinheilig. »Sie müssen sehr stolz auf Ihre Tochter sein!«
Berit sah ihn an, als wäre er nicht recht bei Trost, aber bei Frau Martens hatte er genau den richtigen Schalter betätigt. Die schlanke, wasserstoffblonde Frau mit praktischer Föhnfrisur, in blendend sitzenden Designerjeans und schlichtem, schwarzem Pulli strahlte ihn an.
»Nun, ›stolz‹ ist sicher nicht der richtige Ausdruck …«, murmelte sie. »Wir sind eher … betroffen, von dem, wasClaudia da widerfährt. Zuerst haben wir uns auch sehr heftig gewehrt, das alles für bare Münze zu nehmen – Teenager sind ja oft etwas exaltiert und bilden sich alles Mögliche ein. Aber nun … Es ist schon irgendwie etwas Großes, das uns da berührt, ich spüre das auch. Claudia hat sich verändert, ihre ganze Aura … da wächst so viel Kraft in dem Kind …«
Berit hinter ihrem Rücken verdrehte die Augen.
»Erzählen Sie mir doch einfach ein bisschen von Claudia«, forderte Ruben Frau Martens auf und zwinkerte Berit zu, als Claudias Mutter kurz wegsah. »Von ihrer Kindheit, der Vorgeschichte – sicherlich haben Sie sie tiefreligiös erzogen …«
»Aber nein! Bis das jetzt passierte, da war Religion für uns – na ja, Sie wissen schon, man glaubt natürlich an Gott, aber wir waren nie große Kirchgänger. Claudia wurde da auch gar nicht von uns beeinflusst, sie sollte das irgendwann mal selbst entscheiden … Aber wer konnte denn ahnen, dass …«
Frau Martens plapperte wie aufgezogen. Während Berit Kaffee kochte und sich zwischendurch immer wieder den Pony aus der Stirn strich, schilderte die frisch gebackene Gläubige ihre Tochter als ein so engelhaftes Kind, dass Bernadette Soubirous dagegen wie der Klassenclown wirkte. Als sie eben eine herzzerreißende Story über Claudia und ein ausgesetztes Kätzchen zum Besten gab, öffnete sich die Tür vom Nebenzimmer und eine mütterlich wirkende, rundliche Frau mit freundlichen Zügen und kurzen dunkelbraunen Locken schob Sophie und Claudia aus dem BeGin- Büro ins Büro von Frau Clarsen.
»Ihr habt das sehr gut gemacht, vielen Dank!« Die Psychologin lächelte. »Jetzt werde ich die Tests mal auswerten, das dauert so ein bis zwei Stunden. Wollt ihr dann mit euren Eltern wiederkommen? Ich kann natürlich auch einfach ein Gutachten schreiben, aber eigentlich erkläre ich meine Ergebnisse lieber persönlich. Dann könnt ihr auch Fragen stellen, wenn noch was unklar ist.«
»Waren wir denn sehr daneben?«, fragte Sophie ängstlich.
Frau Wahl lachte schallend. »Ich glaub nicht«, meinte sie. »Aber sieh’s mal so: Wer möchte denn voll auf Linie sein?«
Claudia verzog den Mund zu einem Grinsen. Ihre Mutter hatte den Witz dagegen nicht ganz verstanden.
»Soll das heißen, Sie haben irgendeine … Abweichung festgestellt? Bitte, Sie müssen mir das sagen! Bevor womöglich die Presse Wind bekommt und die Mädchen als verrückt hinstellt.« Frau Martens warf einen nervösen Blick auf Ruben.
»Ich hab gar nichts festgestellt. Die Mädchen haben brav
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