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Das Wunder von Treviso

Das Wunder von Treviso

Titel: Das Wunder von Treviso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Falk
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entweichen. Der Bürgermeister strich sich nervös über die spärlichen Haare, und Vito kratzte sich verlegen am Bart. Wirklich äußern wollte sich keiner der drei Männer, doch schließlich kamen von allen Wörter wie «dominant», «herrschsüchtig», «vorlaut».
    «Wenn ihr mich fragt», sagte Massimo, «des Teufels Schwester hat heute Ausgang!»
    «Aber schöne Beine hat sie. Das muss man ihr lassen», murmelte Vito vor sich hin.

15
    Luigi war im Anschluss an den Besuch beim Pater nicht mit in Massimos Trattoria gekommen. Er hatte sich entschuldigt, er sei müde und gehe lieber sofort nachHause. Man hatte noch versucht, ihn auf ein Glas Wein zu überreden, aber letztlich hatten seine Freunde ihn ziehen lassen. Nun saß er im Halbdunkel seines Friseursalons, die Rollläden heruntergelassen, und hörte auf das Ticken der großen Uhr über der Tür zum Hinterzimmer. Hatte er Hunger? Möglich, aber Appetit hatte er keinen. War er müde? Ja, aber schlafen konnte er noch nicht. War er einsam? Was war es, das ihn so unruhig machte? Er fühlte sich richtiggehend kribbelig, unwohl, zittrig. Hatte er zu viel Kaffee getrunken? Das musste es sein. Einen Espresso zu viel für heute. Das bekam weder seinem Magen noch seinem Herzen, und offenbar bekam es auch seiner Seele nicht.
    Er stand auf, indem er sich mit der Hand auf der Armlehne des roten Kunstledersessels abstützte, und ging ins Hinterzimmer des Salons. Dort, im weißen Schrank, im zweiten Fach rechts, lag ein altes Foto in einem Goldrahmen, dessen Glas schon fast blind war. Aber das Gesicht der Frau auf dem Bild lächelte so freundlich wie immer. Sie hatte ein schönes Lächeln gehabt, seine Chiara, große grüne Augen unter langen schwarzen Wimpern. Er erinnerte sich, wie ihr Haar gerochen hatte. Er erinnerte sich an das schwarze Kleid mit den weißen Tupfen, das sie zur Verlobung getragen hatte. Über vierzig Jahre war das nun her. Sie war älter geworden. Sie waren beide älter geworden. Chiara hätte gerne Kinder gehabt, er dagegen wollte immer nur Chiara; sie genügte ihm. Sie aber war über den Kummer, dass sie keine Kinder kriegen konnten, immer dicker geworden.Dabei lag es gar nicht an ihr. Der Arzt hatte gesagt, es sei manchen Menschen einfach nicht gegeben, Kinder zu haben. Sie hatten sich eine Katze zugelegt. Die Katze war in demselben Jahr gestorben wie Chiara.
    Luigi sah das Bild eine Weile lang an, bis er schließlich mit dem Ärmel darüberstrich und es wieder an seinen Platz zurücklegte. Dabei stieß er an etwas Weiches, das ganz hinten im Schrank gelegen haben musste. Er zog es mit langen Fingern aus dem Fach heraus, um zu sehen, was es war. Und zum ersten Mal an diesem Tag glitt ein Lächeln über sein Gesicht, und er wusste auf einmal, warum er die Schwester Don Antonios mögen würde, trotz ihrer widerborstigen, überfürsorglichen Art. In der Hand hielt er ein altes Paar Stützstrümpfe seiner verstorbenen Frau.

16
    Der Pater lag im Bett und überdachte seine Lage. Er konnte jetzt noch eine weitere Woche hier liegen bleiben und sich von seiner Schwester terrorisieren lassen, oder aber er konnte die Zähne zusammenbeißen, aufstehen und seinen Verpflichtungen nachgehen. Er hatte die Nudelsuppe Marias satt. Offenbar glaubte seine Schwester, dass heiße, salzige Suppe gut gegen jede Form von Erkrankung sei, ob es sich dabei um Erkältung, Nabelbruch oder Hexenschuss handelte. Der Paterhatte es
so
satt. Er hatte dieses Zimmer satt, er hatte die Nudelsuppe satt, und er hatte die Hitze satt. Seit drei Wochen war das Thermometer nachts nicht mehr auf unter achtundzwanzig Grad gesunken. An ruhigen Schlaf war nicht zu denken.
    Mit einer geschickten Linksdrehung rollte er sich aus dem Bett, suchte, noch etwas klapprig auf den Beinen, Halt am Bettpfosten, bevor er sich dann vollends aufrichtete und nach seiner Soutane tastete. Diese hing ordentlich gefaltet über dem Fußende vom Bett. Der Pater zog sich an, nahm den Stuhl weg, den er unter die Türklinke geschoben hatte, und ging die Treppe hinunter.
    «Maria?» Keine Antwort.
    «Maria?» Immer noch keine Antwort.
    «MARIA!» Offenbar war Maria ausgegangen und hatte ihm nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Der Pater schüttelte den Kopf über so viel Rücksichtslosigkeit und tappte weiter nach draußen in Richtung Kräutergarten. Erschöpft ließ er sich auf der kleinen Bank am Hintereingang des Hauses nieder.
    Seit siebenundzwanzig Jahren hatte sich der Kontakt zwischen ihm und seiner Schwester

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