Das Wunder von Treviso
beruhigt.
«Was denkt der sich eigentlich? Dass du mich nur heiraten willst, weil ich dich billiger als eine Hausangestellte komme?» Sie war zutiefst verärgert, doch Luigi lachte nur.
«Sei unbesorgt, ich spüle mein Geschirr selbst, und du wirst nichts anderes tun, als es dir auf meinen Händen bequem zu machen, denn darauf gedenke ich dich die nächsten hundert Jahre zu tragen.»
Damit könne sie leben, sagte Maria und hakte sich bei ihm unter. Zusammen schlenderten sie in Richtung des Friseursalons. Dort angekommen, schloss Luigi die braunlackierte Tür auf, schaltete das Licht an und zog die Rollos herunter.
«Eigentlich hätte ich dir den Antrag gerne in einem etwas ruhigeren Rahmen gemacht. Es hätte nicht gleich das ganze Dorf mitfeiern sollen.»
«Lass sie nur», sagte Maria. «Wir werden hoffentlich genug Zeit zu zweit verbringen, ohne dass sich der ganze oder auch nur der halbe Ort einmischt und seinen Kommentar dazu abgibt.» Sie nahm seine Hand, führte sie zu ihrem Mund und küsste behutsam seinen Handrücken. «Ich freue mich sehr über deinen Antrag, alles andere ist nicht wichtig.»
Da stimmte er ihr zu. Sie war bei ihm, das war es, was zählte, und was auch immer die anderen dachten, konnte ihnen egal sein.
«Weißt du, ich hatte gedacht … also ich dachte mir, ich könnte eventuell den Laden schließen, damit wir ein bisschen mehr Zeit füreinander haben. Was hältst du davon?»
«Dass mich alle Frauen des Ortes zwischen sechzig und neunzig hassen werden, weil ich ihnen ihre Chance auf eine gepflegte Dauerwelle zunichtemachen würde.» Maria lächelte, dann sah sie ihn ernst an. «Du musst nichts an deinem Leben ändern, nicht mir zuliebe. Ich finde es wunderbar so, wie es ist. Lass uns nichts überstürzen.»
Auch wenn das nicht unbedingt die Antwort war, die er sich erhofft hatte, gab er ihr recht. Es stimmte, der Salon war ein wichtiger Teil seines Lebens, und ihn aufzugeben würde ihm vielleicht schwerer fallen, als er es sich jetzt vorstellen konnte. Obwohl – bei einem Blick auf die abgewetzten Kunstledersessel, die fleckigen Spiegel und die altmodischen Leuchter an der Wand fragte er sich, was er daran eigentlich vermissen sollte. Er ging in die Küche.
«Willst du einen Kaffee?», rief er ihr zu.
«Ja gern.» Er hantierte mit dem Espressokocher. «Wenn du fertig bist, musst du mir erzählen, wo du diesen gigantischen Klunker erstanden hast.»
«In Vicenza», rief Luigi und kam mit einem Tablett zurück, auf dem er zwei Espressotassen trug. «Gefällt er dir?»
«Er ist unglaublich! Ich komme mir vor wie in einem Hollywoodfilm.» Pause. «Du hast die Milch vergessen.»
Er ging zurück in die Küche, machte den Kühlschrank auf und hörte sich selbst sagen: «Fahren wir nach Sizilien? Ich meine unsere Hochzeitsreise. Fahren wir da nach Sizilien?» Pause. «Maria? Hast du mich gehört?»
«Hab ich.» Sie stand auf einmal hinter ihm. «Sizilien also.»
«Ja, ich dachte, das wäre schön.» Er küsste sie, immer und immer wieder. Sie lachte.
«Also, Mastroianni, muss ich erst in den Brunnen da draußen springen, oder kriege ich jetzt meine Milch?»
7
Wider Erwarten ging das Licht in der Kirche tatsächlich nicht. Eigentlich hatte er angenommen, dass alles, was man ihm über die weinende Madonna und über Santa Maria degli Angeli erzählt hatte, eine Lüge sei, doch nun musste er feststellen, dass immerhin etwas davon stimmte. Da jedoch die Laterne an der Hauptstraße ein wenig Licht durch die Fenster warf, konnte er sich innerhalb kürzester Zeit notdürftig orientieren und bahnte sich seinen Weg durch das Kirchenschiff in Richtung Altarraum. Und dort stand sie: die weinende Madonna von Treviso, eingefasst in ihrer kleinen Nische, in der sie nun schon seit Monaten von zahlreichen Pilgern bewundert wurde.
Francesco de Renzi trat näher an die Statue heran, und obwohl das Licht nicht ausgereicht hätte, um Genaueres zu erkennen, konnte er feststellen, dass hier etwas nicht stimmte, denn die Madonna stand gar nicht in ihrer Nische, sie stand vielmehr auf dem schmalen Absatz davor. Eine höchst merkwürdige Art der Aufstellung für so ein Kunstobjekt, fand er, denn von dort hätte sie auch sehr leicht herunterfallen können. Francesco de Renzi ging noch einen Schritt nach vorne, und dann wusste er plötzlich, was an diesem Bild nicht stimmte. Die Madonna war zu breit! Noch vor wenigen Tagen hatte er sie in genau dieser Mauerausbuchtung stehen sehen, und jetzt passte die
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