Das Wunder von Treviso
umwandte und mit schweren Schritten die Kirche durch den Haupteingang verließ.
10
Es war ihm leichtgefallen, jemanden in sein Leben zu lassen, noch leichter war es, das Bett mit dieser Person zu teilen, aber bei der Neuaufteilung seines Hauses stieß Luigi auf ungeahnte innere Barrieren. Er begann den Ort, in dem er immerhin dreiunddreißig Jahre zusammen mit Chiara gelebt hatte, mit Marias Augen zu sehen, und plötzlich war ihm nichts gut genug. Die Vorhänge waren alt, die Sessel im Wohnzimmer waren alt, der Fernseher war uralt, und von der Farbe der Fliesen im Bad wollte er gar nicht reden. Alles kam ihm so schäbig, so abgenutzt vor. Wie sollte sich Maria darin wohlfühlen,und wie konnte er umgekehrt es schaffen, sein altes Leben, an dem er so gehangen hatte, mit seinem neuen zu verbinden?
Als Luigi diesen Morgen aufstand, hatte er einen Beschluss gefasst. Es hatte nicht die ganze Nacht gedauert, aber doch immerhin einige Stunden, bis er sich dazu durchgerungen hatte, die neue große Liebe seiner alten großen Liebe vorzustellen, und er hatte sich sehr erleichtert gefühlt, als die Entscheidung endlich gefallen war. Das war gegen ein Uhr dreißig gewesen. Danach war er in einen sanften Schlummer hinübergedämmert, aus dem er Punkt drei Uhr früh wieder erwachte, in seinen Gliedern die Angst davor, es Maria beizubringen. Gegen vier Uhr fünfundvierzig stand er schließlich auf, ging ins Badezimmer, knipste das kleine Licht am Spiegel an und begann seine Rede an Maria einzustudieren.
«Maria, jetzt, da wir uns gefunden haben, möchte ich mir eine Zukunft mit dir aufbauen, eine gemeinsame Zukunft. Und … äh … weil jede Zukunft auf einer Vergangenheit beruht … äh … wollte ich dich fragen, ob du bereit wärest, mit mir meine Vergangenheit zu besuchen. Nein, meine, meine … ach Gott!» Luigi bekam einen leichten Schweißausbruch und setzte sich erst einmal auf den Badewannenrand. Warum nur war ihm das Ganze so wichtig? Er hatte das Gefühl, Chiara an seinem neuen Leben teilhaben lassen zu müssen, und zu diesem neuen Leben gehörte nun einmal Maria. Aber musste er dazu wirklich beide Frauen aufeinandertreffenlassen? Er stand auf, sah sich selbst in die Augen und begann von vorn.
«Maria, du bist meine neue große Liebe … und weil du dies bist, möchte ich, will ich sagen, dass … Maria …» Pause. «Ach, verdammt, es wird schon irgendwie gehen.» Sagte es, machte das Licht aus und zog sich bis fünf Uhr dreißig ins Bett zurück. Dann stand er übernächtigt und mit dem unsicheren Gefühl mangelhafter Vorbereitung auf, so als müsste er noch einmal zu einer Mathematikprüfung antreten und hätte vergessen, wie man die Seiten eines Dreiecks berechnete.
11
«Du glaubst nicht, was mir heute Morgen passiert ist!», begrüßte ihn Maria, als Luigi sie an der Eingangstür zu seinem Haus empfing.
«Ich glaube dir alles, mein Herz!»
«Ich habe gerade einen Anruf von Berlusconi bekommen. Er kann ohne mich nicht leben und bittet mich, seine Frau zu werden. Und er schickt dir drei goldene Rolex-Armbanduhren, die du als Anzahlung für mich entgegennehmen sollst.»
«Was?» Luigi sah leicht irritiert aus.
«Na, er findet, das sei der angemessene Preis, jetzt, da ich keine Jungfrau mehr bin …» Maria wollte sich ausschütten vor Lachen, merkte aber schnell, dass Luigiihr im Geiste nicht folgte. Also berichtete sie von einer französischen Pilgerin, die ihr heute Morgen in der Kirche begegnet war.
«Sie hat sich offensichtlich heimlich eingeschlichen, als ich eben kurz den Müll aus dem Foyer hinausbrachte, und als ich zurückkam, stand sie wie angewurzelt vor der Madonna und flüsterte immerzu ‹Mon dieu, mon dieu, mon dieu!›. Also bin ich zu ihr hin, um sie zu fragen, ob es ihr gutgehe. Da schaut sie mich wie in Trance an und fragt, wer ich denn sei. ‹Ich bin Maria›, antworte ich wahrheitsgemäß. Und was glaubst du, was die Frau dann tut? Sie sinkt auf die Knie, umklammert meine Beine und ruft: ‹Gelobt seist du, Maria!› Es hat mich ganze zehn Minuten gekostet, ihr klarzumachen, dass ich nicht die Muttergottes bin und sie sich besser an die Frau aus Holz wenden sollte.» Sie kicherte. Luigi, noch immer ganz mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, nickte nur, zeigte aber ansonsten keinerlei Reaktion, und allmählich begann sich Maria zu ärgern.
«Luigi! Ich erzähl dir hier meine beste Geschichten, und du zeigst überhaupt keine Reaktion! Was ist denn los mit
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