Das Yakuza-Mal
bezweifle ich, daß Tsukiyama Koji so dumm wäre und seine Freundin wieder in ihre Wohnung zurückgehen ließe. Nicht nach allem, was gestern abend geschah. Aber es ist möglicherweise ein Anfang.«
»Eine Frage«, sagte Mulvaney und zündete eine Zigarette an. »Wenn dieser Ninja - ich meine den Großvater, den alten Knaben — so über seinen Enkel verärgert ist, warum ...«
Osgood unterbrach ihn: »Warum tötet er ihn nicht, meinen Sie? Ich sagte es doch schon: Er hat seiner Tochter ein Versprechen gegeben.«
»Nein. Eigentlich hab ich meine Frage ja schon selbst beantwortet. Das ganze Gerede um Familienehre und so ist ja schön und gut, aber selbst wenn er seiner Tochter kein Versprechen gegeben hätte, würde es ihm bestimmt schwerfallen, den eigenen Enkel umzubringen.
Aber ich hab 'ne Theorie, die Sie aus den Socken hauen wird.«
Osgood lächelte nachsichtig. »Interessant. Und die wäre?«
»Was wäre, wenn dieser Yakuza-Chef, Mizutani Dingsbums ...«
»Mizutani Hideo.«
»Genau. Also: wenn Hideo diesen Tsukiyama Koji überhaupt nicht im Griff hätte? Wenn die Yakuza also von ihrem Joker selbst angeschmiert wird?«
Osgood wandte den Blick kurz von der Straße und sah Mulvaney an. »Wenn Tsukiyama Koji planen würde, Ellermann an den Meistbietenden zu verkaufen? Meinen Sie das?«
Mulvaney zog den Aschenbecher heraus und warf die Asche, die er bisher in der linken Hand gesammelt hatte, hinein. »Wir spielen doch Räuber und Gendarm, stimmt's? In Chicago kommt es immer wieder vor, daß der große Boß irgendwann mal von einem Jungtürken ausgebootet wird.
Warum sollten die Ganoven in Japan anders sein als bei uns zu Hause? Vielleicht hat dieser kleine Ninja-Ganove seine eigenen Ambitionen?«
»Ambitionen? Ihr Sprachschatz beeindruckt mich, Mulvaney.«
»Ich geb mir ja auch große Mühe, Sie zu beeindrucken, Ozzie. Deshalb hab ich's ja ...«
»Nennen Sie mich nicht Ozzie. Nennen Sie mich John oder Osgood.«
»Wie werden Sie von Ihren ...? Nein ...«
»Was?«
Mulvaney rang sich ein Lachen ab: »Ich wollte fragen, wie Ihre Freunde Sie nennen, aber dann wurde mir klar, daß das eine blöde Frage ist. Ein Mann wie Sie kann keine Freunde brauchen.«
»Mulvaney, ich hoffe aufrichtig, daß wir diese Angelegenheit so schnell wie möglich hinter uns bringen. Und dann werde ich hoffentlich nie wieder
...« Osgood sprach nicht weiter. Mulvaney sah, daß Osgood in den Rückspiegel starrte, und drehte sich um. »Der Mercedes«, sagte Osgood ruhig. »Und der Volvo dahinter.«
Mulvaney schossen eine Reihe von Fragen durch den Kopf. Woher hatte die Yakuza, oder wer auch immer sie verfolgte, erfahren, welche Straße sie entlangfahren würden ? Woher wußten sie, wann sie hier vorbeikommen würden? Wer war der Informant? Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, diese Fragen zu stellen. Mulvaney zog die Beretta aus dem Hosenbund. »Was soll denn das?«
Mulvaney sah Osgood an und sagte: »Reine Vorsichtsmaßnahme.« Er grinste, aber dieses Grinsen war nicht echt, sondern sollte seine Angst verbergen. Während seiner Zeit bei der Army hatte er gelernt, daß Leute auf Gefahrensituationen unterschiedlich reagierten. Die einen hatten Angst und die anderen nicht. Erstere konnte man in zwei Gruppen unterteilen: solche, die durch ihre Angst wie gelähmt waren und überhaupt nichts mehr tun können, und solche, die trotz ihrer Angst taten, was zu tun war. Diejenigen, die keine Angst hatten, waren einfacher zu klassifizieren: Verrückte.
Sie fuhren auf einer zweispurigen, gut ausgebauten Straße. Auf beiden Seiten befanden sich Schotterbankette. Die Straße führte in die Stadt hinunter. Über lange Strecken wand sich die Straße durch einen gefährlich steilen Berghang. Sie waren jetzt an einer solchen steil abfallenden Stelle angekommen. Mulvaney drehte sich um. Der schwarze Mercedes und der blaue Volvo dahinter holten rasch auf.
»Schnallen Sie sich an, Mulvaney. Und halten Sie sich fest.« Osgood schaltete herunter, der Motor heulte einen Moment lang derart auf, daß Mulvaney befürchtete, er würde überdrehen.
Osgood riß das Steuer in einer Rechtskurve herum, das Heckteil des Wagens schwänzelte, er schaltete wieder hoch, beschleunigte und schaltete in den höheren Gang. Mulvaney legte den Sicherheitsgurt so an, daß sein rechter Arm und die rechte Schulter Bewegungsfreiheit hatten, damit er nötigenfalls schießen konnte. Im Rückspiegel der Beifahrerseite sah er den Mercedes, der jetzt dicht hinter ihnen fuhr.
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