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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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gestern ganz zufällig erfahren.«
    »Ganz zufällig?«
    »In solchen Fällen wird immer eine Liste der Leute aufgestellt, die . . . also, der Zeugen. Die am Tag seines Todes noch mit Studnjow zusammen waren. Anfissa, wie kam es, dass du dabei warst? Kanntest du Studnjow schon von früher?«
    »Ich kannte ihn, allerdings.« Anfissa lachte nervös auf. »Ich war sogar mit ihm im Bett. Aber er hat mich sitzen lassen. Hat mir eines Tages gesagt, so eine fette Sau wie mich müsste man . . .«
    Sie verstummte. Katja schaute sie an und wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Setzen wir uns erst mal«, schlug sie schließlich vor und wies mit dem Kopf auf eine Bank, die am Kai stand. Sie setzten sich. Auf der anderen Seite des Ufers war der Vergnügungsbetrieb im Park in vollem Gange. Kinder schrien und lachten. Aus dem schwimmenden Restaurant »Mama Soja« wehte Küchendunst herüber, es roch nach gebratenem Speck mit Zwiebeln. Auf dem Wasser zankten sich kreischend die Möwen.
    »Ich hab Hunger«, sagte Anfissa und leckte sich über ihre ausgetrockneten Lippen. »Hast du schon gefrühstückt?«
    »Wie? Ja, hab ich schon . . . Anfissa, was soll das heißen?« Katja suchte angestrengt nach den richtigen Worten. »Was war zwischen euch beiden?«
    »Weißt du etwa nicht, wie so was läuft? Ach, du kleine Unschuld.« Anfissa lächelte spöttisch. »Nun, jetzt ist er tot, es gibt ihn nicht mehr. Er wurde also vergiftet? Steht das schon fest?«
    »Ja, in seinem Körper ist ein langsam wirkendes Gift entdeckt worden. Im Gutachten heißt es, dass Studnjow es bei diesem Abendessen zu sich genommen hat. Gestorben ist er ein paar Stunden später in seiner Wohnung in Stolby.«
    »Hat er sich quälen müssen?«, fragte Anfissa.
    »Wahrscheinlich . . . Aber genau weiß ich das nicht. Er hatte wohl einen Erstickungsanfall, hat sich noch auf den Balkon geschleppt und ist dann hinuntergestürzt. Aus dem siebten Stock. Schrecklich und dumm, aber so war es.«
    »Ich möchte, dass er sich gequält hat«, sagte Anfissa. »Es war also Gift? Das ist interessant. Hat der Rattenkönig also auch seine Portion abbekommen.«
    »War es dir so ernst? Hast du . . . hast du ihn geliebt?« Katja schaute ihrer Freundin beunruhigt ins Gesicht.
    »Ich möchte etwas essen.« Anfissa wandte sich rasch ab und inhalierte gierig die Küchendüfte der »Mama Soja«. »Ich sterbe vor Hunger.«
    »Wenn du willst, können wir ja dorthin gehen.« Katja blickte zögernd zu dem schwimmenden Restaurant hinüber – besonders vertrauenerweckend sah es nicht aus. Vor dem Eingang wachten Löwen aus vergoldetem Papiermache, die eher Hunden glichen, und ein Furcht einflößender Tscherkesse, allerdings nur aus Pappe.
    »Du möchtest sicher gern sehen, wo Max vergiftet wurde?«, fragte Anfissa.
    »Du hast es erraten.« Anfissa konnte man nichts vormachen. »Hat er dich verlassen?«
    »Was soll ich dir sagen, Katja . . . Ich war ja schon drauf und dran, ihn zu heiraten.«
    »Ist es dir unangenehm, darüber zu reden?«, fragte Katja.
    »Ihr werdet mich ja doch ausfragen«, meinte Anfissa schulterzuckend. »Dann kann ich auch gleich darüber reden, und lieber mit dir als mit diesem Typ, der gestern aufgetaucht ist. Das war so ein Muskelprotz, der sich wahrscheinlich in seinen Träumen schon als Karate-Weltmeister im Schwergewicht sieht. Mit einem leuchtend blauen Veilchen unterm Auge.«
    Katja musste unwillkürlich lächeln. Anfissa hatte ihr ganz persönliches Porträt von Kolossow gezeichnet. Sie standen auf und schlenderten langsam den Kai entlang zur Fußgängerbrücke.
    »So ernst war es euch beiden also schon?«, knüpfte Katja wieder an ihr unterbrochenes Gespräch an. »Studnjow wollte dich heiraten?«
    »Na und?« Anfissa blieb plötzlich stehen. »Meinst du, so einen Mops wie mich will keiner haben?«
    »Anfissa, was redest du, so habe ich das doch nicht gemeint. Ich habe mich nur schon ein wenig mit diesem Fall beschäftigt, und ich hatte den Eindruck, dass Studnjow . . .«
    »Ich hab schon begriffen«, unterbrach Anfissa sie. »So einen Fall kannst du dir nicht entgehen lassen. Eine echte Sensation! Zu schade, dass ich nicht in der Nähe war, als er mit dem Kopf voran vom Balkon gesaust ist. Was das für Fotos gegeben hätte – toll. Meine Bilder und dein Kommentar. Wir hätten ein Schweinegeld gemacht:« Unerwartet schluchzte Anfissa auf.
    Katja legte ihr den Arm um die Schultern.
    »Ich habe mir aus den Erzählungen der Leute, die Studnjow kannten, ein ungefähres

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