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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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anrief.«
    »Weshalb dann?«
    »Weshalb . . . Frag mich was Leichteres, ich sag dir ja, ich hab mir selber den Kopf darüber zerbrochen. Damals habe ich ihn abgewimmelt – hab gesagt, ich hätte keine Zeit, wäre furchtbar in Eile, weil ich noch zu einer Fotosession müsste, die Frau eines Parteibonzen ablichten. Aber Max hat mich schon am nächsten Abend wieder angerufen. Und am übernächsten auch. Und immer hat er so bedeutungsvoll getan, so vertraulich und einschmeichelnd. Na, du weißt selbst, wie die Männer sein können, wenn sie sehr scharf auf etwas sind. Und dauernd hat er mir Komplimente gemacht – wie begabt ich sei, wie klug, was für eine tolle Künstlerin, und dass er meine Fotos in der Zeitung gesehen hat. Was für ein schönes Lächeln ich hätte, und Augen – wie Diamanten . . .«
    Jetzt glänzten in diesen Augen Tränen.
    »Ich war damals überzeugt, der ist nur auf mein Geld aus. Ein ganz gewöhnlicher Gigolo, habe ich gedacht, ein Schürzenjäger, der auf meine Kosten ein schönes Leben fuhren will. Du musst wissen, Katja, egal, wie ich auch manchmal von mir rede, eigentlich habe ich eine sehr hohe Meinung von mir. Jedenfalls, solange kein Spiegel in der Nähe ist. Aber diese allabendlichen Anrufe . . . Es war so angenehm, mit ihm zu plaudern. Treffen wollte ich ihn nicht, obwohl er mich dazu drängte. Aber ein Schwätzchen am Telefon -warum nicht? Ich habe dann Erkundigungen über ihn eingezogen, und es stellte sich heraus, dass er über eigenes Kapital verfügte und auf meine Honorare nicht angewiesen war -das waren für ihn kleine Fische. Ach, Katja, du hast deinen Wadim, aber ich war seit acht Jahren allein. Und ich dachte – wer weiß, vielleicht steht Max ja auf dicke Frauen? So was gibt es doch. Vielleicht war er diese dürren Bohnenstangen wie Aurora einfach leid?«
    »Ich glaube, ich nehme das hier.« Katja tippte rasch auf die Speisekarte. »B’stilla, wie du empfohlen hast. Und einen Kaffee. Gibt es hier auch Eis?«
    »Im Maghrib gibt es alles. Das Eis wird vom Chefkoch selbst gemacht. Na, um mich kurz zu fassen, er hat mir so lange zugesetzt, bis ich mich mit ihm getroffen habe. Und da war’s um mich geschehen, ich habe alles auf der Welt vergessen und mich verliebt. Er hat mich dauernd hierher geschleppt, angeblich um Kaffee zu trinken, das dachte ich anfangs, aber in Wirklichkeit. . . in Wirklichkeit führte er mich nur als eine Art Trophäe vor. Viermal waren wir zusammen im ›Al-Maghrib‹, und sonst ging er hier immer mit Aurora essen. Später habe ich das dann erfahren, aber damals . . . Ich war blind, schwebte auf Wolke sieben, ich Idiotin. Na, wir sind dann natürlich auch im Bett gelandet, und da war ich vor Glück völlig aus dem Häuschen. Endlich, dachte ich, jetzt habe ich es geschafft, jetzt wird alles gut!« Anfissa schaute Katja an, dann drehte sie sich um und rief nach der Kellnerin: »Lena, kommst du bitte, wir haben gewählt!«
    Aha, also das ist Jelena Worobjowa, die Nikita gestern verhört hat, dachte Katja, während sie die an ihren Tisch eilende Kellnerin musterte. Hübsch, aber ein bisschen erinnert sie mich an einen Vampir. Und gehen tut sie wie auf Eiern. Kann sie auf den hohen Absätzen nicht laufen? Aber warum zieht sie dann solche superhohen Stöckel an?
    »Lena, wir hätten gern zweimal B’stilla, Radieschensalat, Krevetten in ›Tanger‹-Sauce, die marinierten Beilagen, zwei Kaffee und zum Nachtisch Eis – zweimal Erdbeersorbet. Sind die Erdbeeren heute frisch?«
    »Ja«, nickte die Kellnerin.
    »Dann also das Sorbet und Kaffee mit Datteln.« Anfissa gab ihr die Speisekarte zurück. »Wo war ich stehen geblieben, Katja?«
    »Dass endlich alles gut würde. Aber so war es gar nicht?«
    »Tja, wir waren zweimal im Bett, zum dritten Rendezvous ist er nicht mehr erschienen. Ich habe die ganze Nacht auf ihn gewartet, dann habe ich ihn angerufen, und er hat mich zum Teufel gejagt. Nicht bloß höflich abgewimmelt, sich mit irgendwelchen Geschäften herausgeredet – nein, er hat mir eiskalt den Laufpass gegeben, verstehst du?« Anfissa sprach jetzt sehr leise. »Ich habe natürlich nichts begriffen, habe geheult wie ein Schlosshund und schrecklich gelitten. Ich bin ihm . . . na ja, nicht direkt hinterhergelaufen, so tief bin ich nicht gesunken, aber ich habe überall, wo es ging, versucht, ihn zu treffen. Ich wollte mit ihm reden, wollte wissen, warum. Das gibt es doch nicht – erst ruft er selbst an, drängt sich auf, will mich unbedingt sehen.

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