Das Zauberer Handbuch
zeitgemäße Sprache, achte jedoch darauf, dass sich keine Anachronismen einschleichen, die die Atmosphäre zerstören und den Leser aus der Handlung reißen würden wie die berühmte Armbanduhr am Handgelenk des Shakespeare-Mimen. In seinem Roman MEIN NAME SEI GANTENBEIN lässt der vorhin schon erwähnte Max Frisch seinen Ich-Erzähler sagen, dass jemand, der einen Blinden spielt, dies nicht fortwährend zu tun braucht, um die Illusion aufrechtzuerhalten, sondern dass es völlig ausreichend ist, wenn er sich in einigen entscheidenden, prägenden Momenten blind stellt. Mit der Sprache verhält es sich ganz ähnlich: Um dem Leser einen Eindruck von einer z.B. mittelalterlich wirkenden Sprache zu vermitteln, müssen wir unsere Charaktere nicht in jenem eigenartigen Kauderwelsch radebrechen lassen, der manchmal auf Mittelaltermärkten anzutreffen ist: »Fremder, was begehret Ihr? Einen Krug vom besten Met? So wisset, dass Ihr einen Gulden zu entrichten habet …« Meiner Erfahrung nach genügt es vollkommen, an einigen prägnanten Stellen altertümelnde Begriffe oder Formulierungen zu verwenden – das wirkt nicht überzogen und macht dem Leser dennoch klar, dass er sich in einer anderen, dem Hier und Jetzt entrückten Zeit (oder vielleicht sogar Welt) befindet. Wenn der Schenkwirt also fragt: »Was wollt Ihr, Fremder? Einen Krug Met? Das macht einen Gulden …«, so ist das völlig ausreichend.
Natürlich haben wir als Autoren auch die Möglichkeit, unseren Protagonisten fremde Sprachen in den Mund zu legen oder – ein Vorrecht, das wohl nur die Schreibenden der Fantasy-Zunft genießen – uns ganz eigene, neue Sprachen auszudenken. Da ich ein bekennender Fan neu kreierter Sprachen bin – die Leser meiner ORKS- und ZAUBERER-Trilogie erinnern sich vielleicht – habe ich dieser ganz speziellen Technik, mit der sich eine fiktive Welt auch sprachlich greifbar machen lässt, ein eigenes Kapitel gewidmet.
Wenn ich hingegen für Jugendliche oder Kinder schreibe, kommt wieder eine »andere« Sprache zum Einsatz – dann lege ich Wert auf gut nachvollziehbare Satzkonstruktionen und verständliche Formulierung. Dies ist übrigens auch der Grund, weshalb ich niemals an mehreren Projekten gleichzeitig arbeite, was ich nur als dringenden Rat weitergeben kann. Natürlich kommt es vor, dass man einen Roman vorbereitet, während man noch dabei ist, die Korrekturen an einem anderen durchzugehen. Die eigentliche Schreibarbeit konzentriere ich jedoch immer nur auf ein Buch – schon deshalb, weil es mir wenn überhaupt nur unter großen Schwierigkeiten möglich wäre, Sprache und Duktus des einen Romans vom anderen zu trennen. Wer will schon, dass die Mitglieder des TEAM X-TREME plötzlich Orkisch reden?
In den heiklen Phasen eines Romans, also wann immer ich dabei bin, mich in ein neues Projekt einzufinden oder eine Schlüsselszene zu schreiben, geht das sogar so weit, dass ich kein anderes Buch lesen oder mir auch nur einen Film ansehen darf, da mich die andere, meinem Projekt fremde Sprache bereits zu sehr stören und beeinflussen würde. Andererseits können in der Vorbereitungsphase eines neuen Projekts solche Bücher oder Filme helfen, die stilistisch vergleichbar gelagert sind oder in ähnlichen Epochen spielen. Mit ihnen kann man sich in die Materie einfühlen und den rechten Ton finden. Ein routinierter Autor sollte ohne Weiteres in der Lage sein, nach dem Filmbesuch oder dem Lesen eines Romans eine entsprechend gelagerte Textpassage zu verfassen – für werdende Autoren ist das auch eine gute Übung.
Seht euch Texte ganz verschiedener Art an: Wie sind sie geschrieben? Wodurch zeichnen sie sich aus? Was lässt sich im Hinblick auf Wortwahl, Satzlänge, Grammatik etc. sagen? Was unterscheidet eine Sportreportage von einem Kriminalroman und diesen wiederum von HARRY POTTER? Oder gibt es auch Gemeinsamkeiten? Fragestellungen wie diese können helfen, das eigene Empfinden für Sprache zu schärfen. Der nächste Schritt wäre dann, versuchsweise Texte zu verfassen, die in ähnlichem Sprachduktus gehalten sind – auf diese Weise kommt noch sehr viel deutlicher zu Bewusstsein, was Sprache ausmacht und wie sie auf Menschen wirkt. Nur wer um diese Wirkung weiß, wird in der Lage sein, seine Texte so zu gestalten, dass sie beim Leser die beabsichtigte Wirkung erzielen: Spannung, Trauer, Heiterkeit – all dies wird nicht durch den Inhalt allein erreicht, sondern auch durch die Art und Weise, wie wir es vermitteln.
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