Das Zauberer Handbuch
nicht – bezeichnenderweise spricht man von Neben figuren und nicht von Nebencharakteren. Natürlich ist es sowohl für den Autor als auch für den Leser unbefriedigend, Figuren als bloße Funktionsträger aufzubauen – ein, zwei persönliche Eigenschaften kann man ihnen ruhig mit auf den Weg geben, ganz egal, ob sie als Helfer oder als Gegner auftreten. Letztlich kommt es auch sehr auf das (Sub-)Genre an, in dem wir uns bewegen – klassische High Fantasy à la Tolkien, die den Stil der alten Mythen heraufbeschwört, interessiert sich grundsätzlich weniger für das Individuum als für das große Ganze, während sich der Reiz der Romantasy gemeinhin nicht in epischen Schlachten, sondern im Gefühlsleben der Charaktere zeigt.
Man kann Nebenfiguren allerdings auch dazu benutzen, den Leser in die Irre zu führen, indem man zunächst viel Aufmerksamkeit darauf verwendet, sie vorzustellen und dem Leser ans Herz wachsen zu lassen – und sie dann eines plötzlichen Todes sterben lässt. Der Altmeister dieser Technik ist für mich Felix Dahn, der in seinem KAMPF UM ROM gleich reihenweise äußerst plastische Charaktere aufbaut, nur um sie einige hundert Seiten später eines jähen Todes sterben zu lassen – die allgemeine Unsicherheit, die Europa zur Zeit der Völkerwanderung erfasst haben muss, wird dadurch für den Leser greifbar. Und ich muss in diesem Zusammenhang auch einmal mehr an Alfred Hitchcock denken, der ein genialer Filmemacher, vor allem aber ein großartiger Erzähler war und mit den Erwartungen der Zuschauer zu spielen wusste wie kaum ein Zweiter: In PSYCHO baut er zunächst die Figur der von Janet Leigh verkörperten Sekretärin zur Heldin auf – einerseits, indem er die Geschichte zunächst konsequent aus ihrer Sicht erzählt, andererseits, indem er sie von der einzigen (bis dato) bekannten Schauspielerin des Streifens verkörpern lässt. Nach vergleichsweise kurzer Zeit jedoch nimmt er sie mit der wohl berühmtesten Mordszene der Filmgeschichte aus der Handlung – und lässt den Zuschauer damit ebenso entsetzt wie verunsichert zurück.
Man kann die Erwartungshaltung des Zuschauers, was die Verteilung von Haupt- und Nebenrollen im Roman betrifft, also auch dazu benutzen, um ihn in die Irre zu führen und mit unerwarteten Wendungen zu überraschen. Wie jeden dramaturgischen Kniff sollte man allerdings auch diesen spärlich einsetzen, da er sich sonst rasch abnutzt.
Namen – mehr als Schall und Rauch
Zum Abschluss noch einige Anmerkungen zu Eigennamen. Ich weiß nicht, wie es anderen Autoren geht – meiner Erfahrung nach gehört das Finden geeigneter Namen für die Figuren mit zu den schwierigsten Herausforderungen beim Schreiben eines Romans. Der ideale Name ist
a) einprägsam
Obwohl vielen Romanen Verzeichnisse beiliegen, in denen die Dramatis Personae verzeichnet sind, sollte der Leser spätestens nach etwa zwanzig Prozent des Romans keine Probleme mehr damit haben, sich die Namen der Figuren zu merken und sie voneinander zu unterscheiden.
b) aussprechbar
Sogar wenn es darum geht, Orks oder andere Schurken zu benennen, sollten Namen verwendet werden, die der Leser auch aussprechen kann. Aneinanderreihungen von Konsonanten à la »Trrtg« oder »Gwwwr« wirken nach meiner Erfahrung nicht exotisch, sondern eher ungewollt komisch und sollten nur benutzt werden, wenn es sich durch die Handlung erklärt.
c) charakteristisch
Der ideale Name charakterisiert die benannte Figur in gewisser Weise. Natürlich ist dieser Eindruck sehr subjektiv, aber bei »Rammar« hatte ich beispielsweise immer das Gefühl, dass etwas Aggressives darin mitschwingt, während sich »Balbok« recht schlicht und fast naiv anhört. Außerdem sollten Namen so gewählt sein, dass sie die Unterscheidung der Charaktere erleichtern.
Ein ungemein talentierter Namensgeber ist fraglos Frank Herbert gewesen, der Autor von DUNE – seine Namen haben nicht nur genau den richtigen Klang, sondern schaffen es, die Figuren auch noch ein Stück weit zu charakterisieren – während in »Paul Atreides« eine gewisse Unschuld mitschwingt, gepaart mit einer guten Portion Edelmut, kann ein »Baron Harkonnen« eigentlich nur ein lupenreiner Schurke sein. Das hängt natürlich auch mit den verwendeten Lauten zusammen – der Reibelaut »r« und stimmlose Verschlusslaute wie »k« und »t«, bevorzugt in der Verbindung mit den dunklen Vokalen O und U, haben immer etwas Düsteres, wohingegen wir stimmhaften Lauten und den hellen
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