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Das Zauberer Handbuch

Das Zauberer Handbuch

Titel: Das Zauberer Handbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Verstandes.
    Dieser desorientierende, den Leser herausfordernde Erzählstil ist noch keine hundert Jahre alt. Vielleicht ist er die Antwort auf eine zunehmend komplexer werdende Zeit mit komplexeren Problemen – ganz sicher aber birgt er unzählige Möglichkeiten, um Handlung aus den Figuren heraus zu entwickeln und voranzutreiben – auch und gerade im Unterhaltungsroman.
Ich-Erzählung
    Wenn ein Roman in der ersten Person geschrieben werden soll, so fällt diese Entscheidung meist bereits in einem frühen Planungsstadium, denn es macht dramaturgisch einen großen Unterschied, ob eine Geschichte in der dritten oder in der ersten Person erzählt wird. Bei der Ich-Erzählung verschmilzt der Erzähler mit einer der handelnden Figuren und wird dadurch selbst zu einem Teil der Handlung. Der Ich-Erzähler kann, wie etwa bei Karl Mays Old Shatterhand, gleichzeitig auch der Held der Geschichte sein, aber auch dessen Helfer wie Dr. Watson in Arthur Conan Doyles SHERLOCK HOLMES-Geschichten. In beiden Fällen findet die Reflexion durch den Erzähler nicht nur mehr allein für den Leser statt, sondern kann auch auf die Handlung einwirken.
    Trotz der personalisierten Erzählweise, die von eigenen Erlebnissen berichtet, kann die Ich-Erzählung aber auch Merkmale auktorialen Erzählens aufweisen, nämlich z.B. dann, wenn, wie etwa in Umberto Ecos DER NAME DER ROSE, das erzählende Ich sehr viel älter und reifer ist als das handelnde. Wenn der greise Adson von den grausigen Vorgängen in der Benediktinerabtei berichtet, so tut er das mit einiger innerer Distanz zu den Geschehnissen und weiß bereits, welchen Ausgang sie genommen haben, sodass Anspielungen und Verweise ebenso möglich werden wie beim auktorialen Erzähler. Hierin liegt eine große Stärke, gleichzeitig aber auch eine Schwäche der Ich-Erzählung: Der Leser weiß zu jedem Zeitpunkt, dass der erzählende Charakter die Geschichte überleben wird, was sich, zumindest wenn es sich um den Helden selbst handelt, nachteilig auf die Spannung auswirken kann.
    In der JERRY COTTON-Serie, die traditionell vom Helden in der Ich-Form erzählt wird – in den 60er-Jahren waren die meisten Leser überzeugt, dass es den »G-man Jerry Cotton« beim New Yorker FBI tatsächlich gibt – habe ich deshalb einmal zu einem Trick gegriffen, um den Leser zu verunsichern: Um den Leser glauben zu machen, Jerry Cotton hätte den Dienst beim FBI quittiert, beließ ich es bei der Ich-Perspektive, doch die erzählende Figur war nicht mehr Jerry selbst, sondern sein Partner Phil Decker, der sich mit dem Satz »Der Leser möge mir verzeihen – aber ich bin nicht Jerry Cotton« zu Wort meldete. Auf diese Weise gelang es, den Leser zu verunsichern und ihn über Jerrys weiteres Schicksal im Unklaren zu lassen – zahlreiche Protestbriefe, die in der Redaktion eingingen, gaben davon beredtes Zeugnis. Man muss jedoch immer beachten, dass man derlei Tricks nicht beliebig oft anwenden kann. Ähnlich wie bei einer Parodie handelt es sich um ein Spiel mit den Regeln, das nur dann funktionieren kann, wenn diese über einen sehr langen Zeitraum hinweg definiert wurden.
    Eine besondere Form der Ich-Perspektive ist der innere Monolog, in dem die handelnde Figur zu sich selbst spricht und ihr Handeln und ihre Umgebung reflektiert. Wird dieser im Inneren der jeweiligen Figur ablaufende Monolog nicht mehr ausformuliert, sondern in einem Versuch, tatsächliche gedankliche Assoziationsketten nach­zuahmen, nur noch bruchstückhaft wiedergegeben, spricht man vom »Bewusstseinsstrom« oder, wie unsere amerikanischen Freunde sagen, Stream of Consciousness .
Perspektive der Fantasy
    Die Wurzeln der Fantasy reichen weit in die Vergangenheit – das Genre selbst jedoch ist jung, weshalb es allen genannten Erzählformen offensteht. Meister Tolkien hat sich in DER HERR DER RINGE für einen klassisch auktorialen Erzählstil entschieden, Stephanie Meyer folgt in ihrer TWILIGHT-Saga den Regeln der Ich-Erzählung, wenn sie ihre Heldin Bella aus erster Hand von ihren Nöten und Sehnsüchten berichten lässt.
    Der in der modernen Fantasy vorherrschende Erzählstil ist jedoch eine Mischung verschiedener Formen: ein auktorialer Erzähler, der von Kapitel zu Kapitel die Per­spektiven verschiedener handelnder Figuren einnimmt, und zwar nicht nur die des Helden, sondern durchaus auch die seines Lehrers, seiner Verbündeten und Gegner – und sogar die seines Feindes. Wenn wir die Position des übergeordneten, allwissenden

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