Das Zeichen des fremden Ritters
den Burgbewohnern, war ihr Beichtvater und unterrichtete Konrad. Antonius war klein und rundlich. Er schien den Speisen aus der Burgküche mehr zuzusprechen, als gut für ihn war. Sein |63| Gesicht war gerötet und bis auf einen grauen Haarkranz hatte er einen kahlen Kopf.
Antonius schloss die Tür zur Halle, faltete die Hände vor seinem Bauch und wartete, bis die Kinder bei ihm waren.
»Ich habe dich eben in der Halle vermisst«, sagte er vorwurfsvoll zu Hannes, aber er zwinkerte ihm dabei zu. »In meiner Suppe waren weniger Fleischstücke als sonst. Wo warst du denn?«
Hannes überlegte fieberhaft. Konrad hatte doch gesagt, dass niemand etwas von dem Kranken erfahren sollte!
»Ich hatte einen anderen Auftrag«, erklärte er ausweichend.
»Schade!«, seufzte Antonius. »Nun, und was wollt ihr wissen?«
»Konrad sagt, Ihr könntet uns eine Frage beantworten«, antwortete Hannes.
Pater Antonius’ Augen leuchteten auf. »Nur zu«, sagte er eifrig. »Ich werde es versuchen. Worum geht es?«
Die Kinder beschrieben ihm den fünfzackigen Stern, aber schon nach wenigen Worten nickte der Pater.
»Ja, ich kenne den Stern. Er wird auch Pentagramm genannt, was nichts anderes heißt als ›fünf Linien‹«, erklärte er mit erhobenem Zeigefinger. »Die Zahl Fünf ist bedeutungsvoll. Besonders hier in dieser Kapelle. Ich zeige es euch.«
Er winkte die Kinder mit sich, während er zu einer Seitenwand ging. Hinter seinem Rücken grinsten die |64| Freunde sich an. Konrad hatte recht gehabt. Offenbar taten sie Antonius tatsächlich einen Gefallen damit, ihn um Rat zu fragen. Hoffentlich konnte er ihnen helfen!
Und da sahen sie, was Konrad gemeint hatte. Ein großer fünfzackiger Stern in einem Kreis war auf die Wand gemalt. Es sah beinahe wie ein rundes Fenster in der Mauer aus.
»Fast wie das Fenster in der Stadtkirche!«, sagte Agnes. »Wisst ihr, welches ich meine? Das runde über dem Eingang. In der Mitte ist der Stern aus Stein und zwischen den Linien sind Löcher, damit Licht hereinfällt.«
Jakob und Hannes nickten. Das stimmte. Wieso hatten sie nicht früher daran gedacht?
»Und was bedeutet der Stern nun?«, fragte Jakob.
»Ganz allgemein stellt er den Morgenstern dar«, erklärte Pater Antonius, »also Jesus Christus. Er ist der Morgenstern, das Licht der Welt, das sich bis in alle Ewigkeit fortsetzt. Auch das Ewige zeigt der Stern. Wenn man die Ecken des Fünfecks in seinem Innern verbindet, entsteht ein neuer fünfzackiger Stern mit einem neuen Fünfeck, in das man wiederum den Stern zeichnen kann und so weiter. Aber er kann noch mehr bedeuten.«
»Und was?«, fragte Hannes neugierig.
Bisher hatte der Stern noch nichts mit Rittern oder Engländern zu tun gehabt. Vielleicht kamen sie ja jetzt endlich der Sache näher.
»Zum Beispiel in dieser Kapelle. Hier stehen die fünf Zacken des Sterns außerdem für die fünf Wunden, die Jesus am Kreuzerlitten hat. Unten auf dem Bild an der |65| Wand sind sie auch zu sehen. Aber in der Stadtkirche«, Antonius nickte Agnes zu, »haben sie eine andere Bedeutung. Sie ist der Muttergottes geweiht. Deshalb stehen die Zacken des Sterns in der Stadtkirche für die fünf Freuden Mariens. Das sind die Verkündigung durch den Engel Gabriel, die Geburt Jesu, seine Auferstehung, seine Himmelfahrt und die Himmelfahrt der Jungfrau Maria.«
»Also hat der Stern nichts mit einer Bruderschaft zu tun, oder?«, wollte Jakob wissen.
»Eigentlich nicht«, antwortete Pater Antonius erstaunt. »Es sei denn, es gäbe eine Bruderschaft, die sich das Zeichen dieses Sterns gewählt hat. Aber ich kenne keine.«
»Hm«, machte Agnes. »Dann kommen wir so nicht weiter.«
Pater Antonius blickte sie neugierig an. »Was meinst du damit?«
»Och, nichts Besonderes«, erklärte Hannes schnell. »Wir haben den Stern vor Kurzem gesehen und dachten, er wäre vielleicht das Zeichen für eine Bruderschaft. Aber das ist er ja wohl nicht.«
»Nein, aber wenn ihr noch nach anderen Bedeutungen sucht«, Pater Antonius’ Zeigefinger fuhr wieder in die Höhe, »dann ist vielleicht diese von Interesse. Der Stern wird auch benutzt, um die Rittertugenden dazustellen.« Er zählte sie an den Fingern ab. »Die fünf wichtigsten Tugenden sind Freigebigkeit, Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit, Höflichkeit und Barmherzigkeit. Inzwischen gibt es sogar zwölf und die sind …«
|66| »Rittertugenden?«, unterbrach Agnes den Pater aufgeregt. »Gelten die überall?«
Antonius blickte sie ungehalten an. »Wenn
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