Das Zeichen des fremden Ritters
Mittag an der Tafel meines Vaters hat er keinen Fehler gemacht. Ich glaube schon, dass er ein Ritter ist. Nur ist er aus einem anderen Grund hier, als er uns weismachen will.«
»Und er hat gesagt, dass der Stern sein Wappen ist«, fügte Hannes hinzu. »Das kann auch nicht stimmen, wenn der Herold recht hat.«
|95| »Er trägt ihn bestimmt nicht wegen der Rittertugenden!«, zischte Agnes, noch immer empört über Sir Thomas. »Wenn er aufrichtig und verlässlich sein muss, warum erzählt er uns so eine Lügengeschichte?«
Konrad zuckte die Schultern. »Das bekommen wir noch heraus, verlasst euch darauf!«, sagte er grimmig. »Aber ich muss jetzt zu meinem Vater. Ihr könnt noch hierbleiben und weiterreden, wenn ihr wollt. Wir sehen uns morgen!«
Er lief rasch die Wendeltreppe hinauf und sie hörten, wie sich die Tür zur Halle öffnete und wieder schloss.
»Ich glaube nicht, dass er ein Ritter ist!«, sagte Jakob.
»Wieso nicht?«, wollte Hannes wissen. »Konrad glaubt es ihm doch.«
Jakob schüttelte den Kopf. »Matthes’ Knechte haben kein Pferd gefunden. Ein Ritter ohne Pferd? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Und wenn es jemand gestohlen hat?«, wandte Agnes ein. »Vielleicht war etwas Wertvolles in Sir Thomas’ Gepäck.«
»Hm«, machte Hannes. »Wir müssen ihn weiter beobachten. Und Geoffrey am besten auch. Wieso hat er sich auf dem Burghof vor Sir Thomas versteckt und heute sitzt er da und unterhält sich mit ihm?«
Agnes zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht war er froh, dass noch ein Engländer auf der Burg ist. Lasst uns morgen weiter darüber reden. Ich muss nach Hause, sonst bekomme ich Ärger mit meiner Mutter. Sie glaubt nämlich …«
|96| Aber da wurde Agnes von einem Schrei unterbrochen. Die Kinder hörten aufgeregte Stimmen in der Halle und Rufe vom Burghof. Dann ging die Tür zur Halle auf und eilige Füße sprangen die Wendeltreppe hinunter.
»Gut, dass ihr noch da seid!«, wisperte Konrad. »Sir Thomas ist verschwunden. Eine Magd hat Gepolter in seiner Kammer gehört und nach ihm sehen wollen. Er war nicht da, sein Bett war zerwühlt und seine Kissen lagen überall herum. Sogar das Kohlebecken war umgefallen. Sie hat geschrien, die Geister der Raunacht hätten ihn geholt.«
»War es Katharina?«, wollte Agnes wissen.
Konrad zuckte die Schultern. »Das weiß ich nicht, ich habe die Magd nur gehört.«
»Die Geister der Raunacht?«, fragte Hannes schaudernd. Großvater Bertram hätte ihn ausgelacht. Der hatte noch nie an Geister geglaubt. Aber trotzdem wurde Hannes mulmig.
»Jetzt haben wir einmal nicht auf ihn aufgepasst!«, stöhnte Jakob. »Und gleich passiert so was!«
So schnell wie möglich rannten die Kinder aus der Kapelle. Der Schnee im Burghof war völlig zertrampelt. Graf Wilhelm musste alle seine Bediensteten auf die Suche geschickt haben. Rasch liefen sie weiter zur Kammer des Ritters. Sie war tatsächlich leer.
In der Küche rief jemand: »Wir haben ihn nirgends gefunden! Er ist wie vom Erdboden verschluckt!«
Jakob blickte sich aufmerksam in der Kammer um, |97| hob sogar die verstreuten Kissen auf und warf sie wieder auf die Matratze.
»Suchst du was?«, fragte Agnes neugierig.
»Der ist nicht freiwillig gegangen«, stellte Jakob schließlich fest. »Ich bin ganz sicher.«
Was macht Jakob so sicher?
7
Wo ist der Ritter?
K onrad sprang die Treppe von der Halle in den Burghof herunter. Mit großen Schritten lief er weiter zu den Ställen, um sein Pferd zu holen.
Er freute sich auf den heutigen Tag, obwohl das Verschwinden des englischen Ritters ihm zu schaffen machte. Vor vier Tagen hatte er sich irgendwie in Luft aufgelöst und war nicht wieder aufgetaucht. Wo war er? Alle auf der Burg standen vor einem Rätsel. Die fröhliche Weihnachtsstimmung hatte ziemlich darunter gelitten. Um das Fest zu retten, gab es nur eine Möglichkeit. Konrad musste den Ritter mit seinen neuen Freunden wiederfinden! Aber wo sollten sie ihn suchen?
Es war ausgeschlossen, hatte Bruder Gisbert gesagt, dass er einfach davongegangen war. Das hätte er in seinem Zustand noch nicht durchgehalten und wäre wieder irgendwo im Graben gelandet.
Und es war ausgeschlossen, so hatten die Bediensteten des Grafen berichtet, dass er noch irgendwo auf der Burg war. Sie hatten mehrmals jeden Winkel durchsucht.
Wo konnte er nur sein? Außerdem, überlegte Konrad |99| bedrückt, wäre er niemals ohne seinen Beutel mit dem Lederetui fortgegangen. Jakob hatte recht gehabt.
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