Das Zeichen des fremden Ritters
Waffenkammer mit Lanzen und Schwertern, Helmen und anderen Rüstungsteilen. Dahin ging nur selten jemand, besonders bei Schnee und eisiger Kälte, wenn Turniere nicht möglich waren. Und jetzt standen die Hunde aufgeregt davor und bellten!
»Wohin willst du?«, rief Gottfried, aber Hannes war schon bei der schweren Holztür des Bergfrieds, öffnete sie und lauschte. Nichts. Die beiden Hunde drängten sich an ihm vorbei und schossen die Treppe hinunter. Hannes konnte sie wieder bellen hören. Wie der Blitzrannte er hinter ihnen her.
Unten war es stockdunkel. Er wusste, dass die Hunde in der Mitte des Raumes sein mussten, denn von da kam das Bellen. Vorsichtig tastete er sich weiter. Hoffentlich standen nicht irgendwelche Waffen im Weg, die ihm womöglich mit Getöse auf den Kopf fielen! Plötzlich stieß er mit dem Fuß an etwas Hartes. Er fühlte Holz unter seinen Händen. Eine Holzklappe! Er brachte die |106| Hunde zum Schweigen und sie hörten tatsächlich auf zu bellen. So fest er konnte, klopfte er auf die Klappe und lauschte. Aus der Tiefe kam ein Stöhnen.
»Sir Thomas?«, schrie Hannes.
»Ja!« Nur gedämpft war die Antwort zu hören.
Fieberhaft tastete Hannes die Klappe ab. Endlich fand er den eisernen Ring, mit dem man sie öffnen konnte. Aber sie war zu schwer für ihn!
»Ich hole Hilfe!«, schrie er wieder.
Er drehte um und lief zu dem blassen Lichtfleck in der Wand, wo die Treppe sein musste, fiel vor lauter Eile fast die Stufen hinauf und kam atemlos auf dem Burghof an. Die beiden Hunde sprangen an ihm vorbei und ließen sich jetzt bereitwillig zum Stall bringen.
»Sir Thomas!«, rief Hannes. »Ich habe ihn gefunden! Wir brauchen Fackeln!«
Gottfried war sofort losgelaufen. Auch ein paar von den Bediensteten kamen angerannt und rissen beim Laufen Fackeln aus den Halterungen in der Mauer.
Während sie die Fackeln entzündeten, redeten sie aufgeregt durcheinander.
»Im Verlies? Bist du sicher, Hannes?«
»Mein Gott! Da haben wir nicht nachgesehen!«
»Komm schon, da war doch ewig keiner mehr drin! Da konnte doch keiner mit rechnen!«
Hannes hörte gar nicht zu. Er schnappte sich eine brennende Fackel und lief als Erster die Treppe wieder hinunter. So schnell wie möglich wollte er Sir Thomas befreien!
|107| Er hätte sich um Waffen keine Sorgen machen müssen, als er im Dunkeln herumgetastet hatte. Die Waffen lagerten offenbar in den oberen Stockwerken. Der Raum hier unten war rund wie der Bergfried und völlig leer. In der Mitte des Bodens konnte er nun eine schwere, runde Holzklappe erkennen, durch die ein Mensch mühelos passte.
Gottfried versuchte sie anzuheben, aber auch er schaffte es erst, als ein Bediensteter mit zupackte. Die Klappe gab nach und öffnete sich quietschend über einer Öffnung im Boden. Sie hielten eine Fackel hinein, konnten aber nichts erkennen.
»Holt mich hier raus!«, rief jemand von unten.
Es war Sir Thomas. Er war jetzt deutlich zu verstehen.
»Tatsächlich! Er ist im Verlies!«, stöhnte ein Bediensteter und blickte die anderen betroffen an.
»Soll ich runtersteigen?«, fragte Hannes.
Gottfried schüttelte den Kopf. »Dieses alte Verlies hat keine Treppe. Dann kann auch niemand fliehen. Wir brauchen ein Seil. Da hinten liegt eins.«
Gemeinsam mit den Bediensteten zog er Sir Thomas aus dem Verlies herauf. Nach fast vier Tagen Dunkelheit blinzelte der Ritter unsicher ins Licht der Fackeln. Er sah furchtbar aus. Sein Umhang war so verdreckt wie sein Gesicht und seine Haare waren zerzaust. Verrottete Strohhalme klebten überall an ihm.
»Endlich!«, seufzte er. »Bringt mich hier weg.«
Gottfried half ihm die Treppe hinauf. Draußen schützte Sir Thomas seine Augen vor dem Tageslicht und sah |108| die vielen Menschen zuerst gar nicht, die vor dem Bergfried warteten.
Die Neuigkeit hatte sich schnell herumgesprochen. Es sah so aus, als wären alle Burgbewohner im Hof zusammengelaufen.
»Da ist die Engländer! Man ’at ihn gefunden!«, hörte Hannes Pierre rufen.
Sir Thomas wurde mit Fragen bestürmt, aber da trat Graf Wilhelm vor und hob die Hand. Der Lärm verstummte.
»Um Gottes willen, wie seid Ihr in das Verlies gekommen?«, fragte der Graf betroffen.
»Oh, ich habe geschlafen. Jemand muss in meine Kammer gekommen sein. Plötzlich hatte ich einen Sack über dem Kopf. Man schleppte mich durch die Kälte und ließ mich an einem Seil in ein Loch hinunter. Ich zog mir den Sack vom Kopf, aber ich konnte nichts sehen. Alles war dunkel. Ein Korb kam von
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