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Das Zeichen des Sieges

Das Zeichen des Sieges

Titel: Das Zeichen des Sieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Mondenschein, eine lange Nase und einen eigensinnigen Zug ums Kinn, der, wie Hook noch erfahren sollte, durchaus ihren Charakter widerspiegelte. Sie war bemitleidenswert mager, hatte aber viel Kraft in ihrem sehnigen Körper und verachtete jede Schwäche. Ihr Mund war breit geschnitten, ausdrucksvoll und äußerst gesprächig. Mit der Zeit verstand Hook, dass sie als Novizin in einem Nonnenkloster gelebt hatte, in dem das Reden verboten war, und in den ersten Tagen schien Melisande die Monate erzwungenen Schweigens ausgleichen zu müssen. Er verstand kaum etwas, und dennoch lauschte er ihrem Geplauder verzückt.
    Den ersten Tag blieben sie in dem Wald. Von Zeit zu Zeit tauchten Reiter in dem Tal unter den Buchen auf. Sie gehörten zu den Siegern von Soissons, aber sie waren nicht in Kampfkleidung. Einige jagten, andere schienen nur zum Vergnügen zu reiten, und keiner von ihnen hielt die wenigen Flüchtlinge, die es offenkundig aus Soissons heraus geschafft hatten, auf ihrem Weg Richtung Süden auf. Dennoch wollte Hook es nicht auf eine Begegnimg mit den Franzosen ankommen lassen, und so versteckten sie sich bis zum Dunkelwerden im Wald. Er hatte beschlossen, in Richtung
    Westen zu gehen, in Richtung England, auch wenn es für einen Geächteten in England ebenso gefährlich war wie in Frankreich. Doch wohin hätte er sich sonst wenden sollen? Sie wanderten bei Nacht unter dem Licht des Mondes. Ihre Nahrung stahlen sie, gewöhnlich war es ein Lamm, das Hook in der Dunkelheit aus der Herde holte. Er fürchtete die Hirtenhunde, aber vielleicht beschützte ihn Sankt Crispin mit seinem Hirtenstab, denn die Hunde schlugen niemals an, wenn Hook einem Tier die Kehle durchschnitt. Er trug den kleinen Körper zurück in den dichten Wald, wo er ein Feuer entzündete, um das Fleisch zu garen.
    «Du kannst auch allein gehen», erklärte er Melisande eines Morgens.
    «Gehen?», fragte sie stirnrunzelnd. Sie hatte ihn nicht verstanden.
    «Wenn du willst. Du kannst gehen!» Er machte eine Geste Richtung Süden und erntete einen finsteren Blick und einen Wortschwall in unverständlichem Französisch. Er nahm an, das sollte bedeuten, dass Melisande bei ihm bleiben wollte. Sie blieb, und ihre Gegenwart war ihm ebenso Trost wie Sorge. Hook war nicht sicher, ob er aus Frankreich herauskommen würde, und wenn es ihm gelang, so war seine Zukunft unsicher. Er betete zu Sankt Crispinian in der Hoffnung, der Märtyrer würde ihm helfen, wenn er erst einmal in England wäre, falls er England erreichte, doch Sankt Crispinian hüllte sich in Schweigen.
    Aber er schickte Hook und Melisande einen Priester. Es war der Cure einer Gemeinde am Fluss Oise, und er fand die beiden Flüchtlinge schlafend unter einer umgestürzten Weide in einem dichten Erlengehölz. Er nahm sie mit zu sich nach Hause, wo ihnen seine Frau zu essen gab. Pater Michel war ein verbitterter Griesgram, doch er hatte Mitleid mit ihnen. Er sprach ein bisschen Englisch, das er während seiner Zeit als Kaplan eines französischen Grafen erlernt hatte, der in seinem Herrenhaus einen Engländer gefangen hielt. Seine Erfahrungen in dieser Stellung hatten Pater Michel einen Hass auf alle Obrigkeit eingepflanzt, mochte es nun der König, ein Bischof oder ein Graf sein, und dieser Hass brachte ihn dazu, einem englischen Bogenschützen zu helfen. «Du gehst nach Calais», erklärte er Hook.
    «Ich bin ein Geächteter, Pater.»
    «Geächtet?» Schließlich verstand der Priester, doch er tat Hooks Bedenken ab. «Proscrit , was? Aber England ist deine Heimat. Ein weites Land, oder? Du gehst nach Hause und hältst dich vom Ort deiner Sünden fern. Was war nochmal deine Sünde?»
    «Ich habe einen Priester geschlagen.»
    Pater Michel lachte und klopfte Hook auf den Rücken. «Gut gemacht! Ich hoffe, es war ein Bischof.»
    «Nur ein Priester.»
    «Nächstes Mal schlägst du einen Bischof, ja?»
    Hook zahlte für seinen Aufenthalt. Er hackte Feuerholz, räumte Gräben aus und deckte mit Pater Michel einen Kuhstall mit frischem Stroh, während Melisande im Haus beim Kochen, Waschen und Flicken half. «Die Leute aus dem Dorf werden dich nicht verraten, Hook», versicherte der Priester.
    «Warum nicht, Pater?»
    «Weil sie mich fürchten. Ich kann sie in die Hölle fahren lassen», sagte der Priester grimmig. Er mochte die Gespräche mit Hook, denn so konnte er sein Englisch üben, und eines Tages, als Hook einen Birnbaum hinter dem Haus beschnitt, hörte er aufmerksam zu, als Hook zögernd

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