Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
Oktobermorgen, an denen es nicht regnete. Ich war mit dem Fahrrad in die Stadt gefahren, um mich an den Computer zu setzen. Wozu sollte ich meinen Vater zum Thema Hämatophagie befragen? Er würde sowieso nur das Thema wechseln.
Ich brauchte eine ganze Minute, bis ich einen Link zum Thema »Menschliche Hämatophagie« gefunden hatte, und zwei weitere, um zu erfahren, dass viele Menschen Blut tranken. Zum Beispiel die Massai. Sie ernährten sich traditionell überwiegend von Rinderblut, das sie mit Milch mischten. Die Mochicca-Kultur und die Skythen hielten Rituale ab, bei denen Blut getrunken wurde. Außerdem gab es reichlich Geschichten über menschlichen Vampirismus, allerdings wurde auf den Seiten heftig darüber diskutiert, ob sie wahr oder erfunden waren.
Mein nächster Link führte mich zu einer Reihe von Seiten, die sich mit »echten Vampiren« beschäftigten. Sie beschrieben einige der Unterschiede, die es zwischen den Vampiren aus volkstümlichen Erzählungen beziehungsweise Romanen und denen der heutigen Zeit gab. Die Autoren stritten darüber, ob echte Vampire auf Blut angewiesen waren, ob sie sich »weiterentwickeln« und ob sie Kinder gebären konnte und wenn ja, ob die Kinder dann automatisch Vampire wären. Kurz: Sie beantworteten keine einzige meiner Fragen.
Eine Autorin namens Inanna Arthen zog folgende Schlussfolgerung: »Darüber hinaus soll dieser Artikel kein falsches
Bild vermitteln - echte Vampire, sogar die weiterentwickelten, trinken hin und wieder Blut, um sich mit Lebensenergie zu versorgen. Jeder, der weiß, auf wie viele unterschiedliche Weisen es dem Leben gelingt, allen Daseinsformen Nahrung zu geben, wird einsehen, dass dies auch nicht unnatürlicher ist, als sich von Pflanzen oder Tieren zu ernähren.«
Als ich grübelnd dasaß, legte plötzlich die Bibliothekarin ihre Hand auf meine Schulter. »Warum bist du nicht in der Schule?«, fragte sie. Sie war eine ältere Frau mit runzliger Haut. Ich fragte mich, wie lange sie da wohl schon gestanden hatte.
»Ich werde zu Hause unterrichtet«, sagte ich.
Doch das schien sie nicht zu überzeugen. »Wissen deine Eltern, dass du hier bist?«
Ich überlegte kurz, ihr die Wahrheit zu sagen: dass ich mir morgens meine Zeit zum Lernen selbst einteilen durfte und mich nach dem Mittagessen mit meinem Vater zum Unterricht traf. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mir nicht glauben würde. Also sagte ich: »Natürlich.«
»Gib mir mal deine Telefonnummer«, sagte sie. Und ich war so dumm, sie ihr zu sagen.
Gleich darauf sprach sie mit meinem Vater und bat ihn, zu kommen und mich abzuholen. Während wir auf ihn warteten, musste ich mich auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch setzen. »Ich habe dich schon oft hier gesehen«, sagte sie. »Googelst du immer nach Vampiren?«
»Ich finde, das ist ein interessantes Thema«, antwortete ich und lächelte gequält.
Ich muss gestehen, dass ich mich insgeheim über die Reaktion der Bibliothekarin freute, als mein Vater schließlich in die Bücherei gerauscht kam, den langen schwarzen Mantel bis zum Kinn zugeknöpft und den schwarzen Hut fast bis über
die Augen gezogen. Ihr fiel die Kinnlade herunter, und sie ließ uns gehen, ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren.
Dafür verlor mein Vater auf der Nachhausefahrt ziemlich viele Worte und beendete seinen Vortrag mit diesen: »… und damit ist es dir gelungen, ein wichtiges Experiment zu stören, dessen Ergebnis jetzt gefährdet sein könnte, und wofür das Ganze? Um eine Bibliothekarin mit Fragen über Vampire zu belästigen?« Seine Stimme war völlig emotionslos, aber an seiner Wortwahl und an dem leise gezischten Vampire erkannte ich, dass er wütend war.
»Ich habe ihr keine Fragen gestellt«, sagte ich. »Ich wollte doch nur ein paar Sachen im Internet recherchieren.«
Er schwieg, bis wir zu Hause waren und er das Auto in die Garage gestellt hatte. Als wir im Hausflur standen, begann er, sich langsam den langen Schal vom Hals zu wickeln. »Ich glaube, es ist an der Zeit« - er hielt inne, um seinen Mantel auszuziehen -, »dass du einen eigenen Computer bekommst.«
Als Kathleen ein paar Abende später anrief, war ich stolze Besitzerin eines glänzenden weißen Laptops mit WLAN-Verbindung. Ich erzählte ihr, wie es dazu gekommen war; in letzter Zeit hatte ich kaum etwas Interessantes zu erzählen gehabt, und vielleicht war das der Grund dafür, warum ihre Anrufe so selten geworden waren.
Kathleen rief mehrmals »Ach komm, das
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