Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
wir auf brachen, sah Michael wieder zu mir herüber, aber ich ging neben meinem Vater her wie ein Zombie.
Wir wollten gerade aus der Schule gehen, da zog mein Vater mich plötzlich von der Tür weg und führte mich zu einem Seitenausgang. Als wir kurz darauf im Auto saßen, erkannte ich, warum er das getan hatte: Der Vordereingang wurde von Fotografen und Fernsehteams belagert.
Mein Vater startete den Wagen. Ich beobachtete zitternd, wie die Journalisten Kathleens Freunde und Angehörige bedrängten, als sie aus dem Schulgebäude kamen. Es hatte zu schneien begonnen. Große Flocken schwebten wie Wattebäusche vom Himmel. Zwei von ihnen klebten für ein paar Sekunden an der Autoscheibe, bevor sie schmolzen und als Tropfen die Scheibe hinunterliefen. Ich wäre gern einfach sitzen geblieben und hätte dem Schneetreiben zugesehen, aber mein Vater fuhr los. Ich lehnte mich im Ledersitz zurück und wir fuhren nach Hause.
Am Abend saßen wir eine Stunde schweigend im Salon und taten so, als würden wir lesen. Danach ging ich zu Bett. Ich lag unter meiner Decke und starrte ins Nichts. Irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn ich schreckte wieder mit dem Gefühl aus dem Schlaf, dass jemand meinen Namen gerufen hatte.
»Ari?«, rief eine hohe Stimme irgendwo draußen. »Ari?«
Ich ging zum Fenster und zog die schweren Vorhänge zur Seite. Sie stand barfuß unten im Schnee. Ihr schwarzes T-Shirt war zerrissen. Ihr Gesicht wurde von einer Straßenlaterne erleuchtet, die hinter ihr in der Auffahrt stand. Am schlimmsten war der Anblick ihres Kopfs. Er sah aus, als wäre er ihr abgerissen und in einem unmöglich schiefen Winkel wieder aufgesetzt worden.
»Ari?«, rief Kathleen. »Kommst du raus und spielst mit mir?« Ihr Körper schwankte, als sie sprach.
Aber es war nicht ihre Stimme - sie war eine Spur zu hoch und sie leierte.
»Komm raus und spiel mit mir, ja?«, rief sie.
Ich begann zu zittern.
Plötzlich trat mein Vater aus dem Hinterausgang. »Geh weg. Geh in dein Grab zurück.« Seine Stimme war leise, aber so bestimmt, dass ich eine Gänsehaut bekam.
Kathleen blieb noch einen Moment schwankend stehen. Dann drehte sie sich um und ging ruckartig wie eine Marionette mit vornübergebeugtem Kopf davon.
Mein Vater sah nicht zu meinem Fenster hinauf. Er kehrte ins Haus zurück und stand ein paar Sekunden später in meinem Zimmer.
Ich lag zitternd am Boden, hatte die Arme um meine Knie geschlungen und hielt mich, so fest ich konnte.
Er ließ mich eine Weile weinen. Dann hob er mich so mühelos, als wäre ich ein Baby, hoch und trug mich ins Bett. Er deckte mich fürsorglich zu, zog einen Stuhl an mein Bett und begann zu singen. »Murucututu, detrás do Murundu.«
Ich kann kein Portugiesisch und der Text des Liedes war in diesem Moment auch nicht wichtig. Seine Stimme war ganz
leise, fast ein Flüstern. Nach einer Weile hörte ich auf zu weinen und er sang mich in den Schlaf.
Am nächsten Morgen wachte ich auf, ohne sofort wieder loszuweinen. Ich hatte einen Entschluss gefasst.
Als mein Vater nachmittags nach oben in die Bibliothek kam, war ich vorbereitet. Ich wartete, bis er sich hingesetzt hatte. Dann stand ich auf und fragte: »Wer bin ich, Vater?«
»Du bist meine Tochter«, sagte er.
Mir fiel auf, wie wunderschön seine Wimpern waren - aber gleichzeitig hatte ich das Gefühl, als wolle er, dass sie mir auffielen, um mich abzulenken.
Ich hatte aber nicht vor, mich ablenken zu lassen. »Ich möchte, dass du mir erzählst, wie es dazu kam - wie es zu mir kam.«
Er schwieg ungefähr eine Minute lang, aber ich rührte mich nicht von der Stelle. Ich wusste nicht, was ihm durch den Kopf ging.
»Dann setz dich«, sagte er schließlich. »Setz dich. Es ist eine ziemlich lange Geschichte.«
Er begann seine Geschichte so: »Ich weiß nicht, wie viel du von mir geerbt hast und wie viel von deiner Mutter.« Sein Blick wanderte zum Fenster, zu dem Schaukasten an der Wand und dann wieder zu mir. »Deine Art zu denken ließ mich oft annehmen, du wärst mir ähnlicher als ihr. Ich glaubte, dass du mit der Zeit von selbst wissen würdest, was zu deinem Überleben notwendig ist.
Aber jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher.« Er verschränkte
die Arme vor der Brust. »Ebenso wenig wie ich mir noch sicher bin, ob ich dich immer beschützen werden kann. Ich denke, es ist an der Zeit, dass du alles erfährst, von Anfang an.«
Er warnte mich, dass es eine lange Geschichte werden würde, eine, die nur mit
Weitere Kostenlose Bücher