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Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Dann
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allein lassen“, sagt Sandra. „Wer weiß, was für Leute in diesem Durchgang herumstrolchen?“
    „Sollen wir hingehen und zugucken?“ fragt Roger.
    „Es ist Liebe und Tod“, sagt Rosemarie, während sie ihr Kleid zurechtzupft und den dünnen Stoff in Falten legt:
    „Dahin möchte ich“, sagt Samson und zeigt auf ein sich in der Ferne drehendes Riesenrad.
    Roger seufzt, während er über den herrlichen Grabsteingarten des Friedhofs schaut. „Ja“, flüstert er und träumt dabei von Gott und Engeln. „Es ist Liebe und Tod.“
     
     
    Sandra bereitet das Picknick auf einem abgelegenen Hügel vor, der Aussicht auf weite Rasenflächen, Beinhäuser, Grabmäler mit Giebeln aus Elfenbein und sogar Reihen von seifenweißen Statuen bietet. Prozessionen von Trauernden schlängeln sich durch ein modernes Eden.
    Priester laufen herum, trösten die Hinterbliebenen, nehmen Häppchen von den Leichenschmäusen, küssen Säuglinge, berühren die kalten Stirnen der Toten und erzählen den Besuchern, die nur zu einem Ausflugspicknick hergekommen sind, schlüpfrige Witze.
    „So, das wär’s“, sagt Sandra, während sie die Alufolie von einem Essensbehälter zieht und auf den aufsteigenden Dampf wartet. „Die Suppe ist fertig. Eßt sie, solange sie warm ist.“ Sie öffnet Behälter nach Behälter. Es beginnt ein Ansturm auf Plastikteller und -bestecke, und die Kinder kippeln sich und füllen sich die verschiedenen Leckerbissen auf. Dann tritt, abgesehen vom Schmatzen, einige Augenblicke Stille ein: Ein Begräbnis findet in der Nähe statt, und jeder ist ergriffen.
    „Es ist ein kleiner Sarg“, sagt Roger nach einer angemessenen Weile. Er beobachtet zwei rot gekleidete junge Männer, die den Sarg auf das Gras neben der Grube stellen. „Es muß ein Kind sein“, sagt Roger. Ein Mann und eine Frau mittleren Alters beugen sich über den winzigen Sarg; der Mann wiegt sich hin und her und zerreißt sich die Kleidung, während die Frau schluchzt.
    „Da seht ihr es“, sagt Bennie, nachdem er seinen Teller saubergewischt hat. „Solches Gejammer und Kleiderzerreißen ist für die alten linkshirnig Denkenden. Mir wäre es wurst, auf der Stelle zu sterben. Der Tod ist für Alte vergeudet. Seht euch nur Mami an, sie wird immer noch von albernen Träumen von der Unsterblichkeit heimgesucht. Alte Leute sind zu pervers, um sich freudig der Natur zurückzugeben.“ Bennie steht auf und sieht in seinem Totenkostüm dämonisch und schmutzig aus.
    „Und wo gehst du hin?“ fragt Sandra.
    „Ich gehe zu dem frischen Grab, um darauf zu tanzen.“
    „Laß ihn gehen“, sagt Roger. „Es ziemt sich, große Traditionen fortzusetzen.“
     
     
    Die Sonne schleppt sich drei Uhr entgegen. Am Himmel sind keine Wolken, nur die sich überschneidenden Spuren der Düsenflugzeuge. Ein paar Vögel flattern wie kleine blaue Enten über sie hinweg. Roger sitzt neben seiner lieblichen Sandra, und sie schauen Bennie zu, der stilgerecht mit den zwei rot gekleideten jungen Trauernden tanzt.
    Roger ist stolz, und seine Augen sind feucht. Bennie hat allen die Schau gestohlen. Er hat sogar die Aufmerksamkeit von einer kleinen Gruppe Passanten auf sich gelenkt.
    Das ist ein Anblick, der Jean Le Fevre dazu gebracht hätte, sich umzudrehen, sagt Roger zu sich, während er Bennie einen perfekten Dance macabre vorführen sieht. Die Trauernden klatschen schon. Bennie hat ihre Herzen gewonnen. Er hat seinen Zuschauern eine vollkommene Vision des Todes gezeigt.
    „Winkt Benjamin zu“, sagt Roger zu seiner Familie. „Seht doch, er winkt uns zu.“ Roger bildet sich ein, daß er die Geräusche einer fernen Maschinerie hören kann. Er träumt, daß Gott Engel geschickt hat, um die Maschinerie Seines Friedhofs zu bedienen.
    Und beim Verrinnen jedes himmlischen Augenblicks wird das Geräusch der Maschinerie Gottes lauter.
     
     
    Aber es stellt sich heraus, daß Gottes Maschinerie nur Kinder sind, Hunderte von lärmenden Jungen und Mädchen, die zu den Sonntagsprozessionen gekommen sind. Sie sind hier, um Unschuldige und Gammler und Nutten zu verbrennen oder zu beerdigen, um das richtige Denken und die richtige Körperkenntnis zu lernen und an den Genüssen und erlesenen Agonien der Todesgemeinde teilzunehmen. Die Kinder scheinen überall zu sein. Sie verwandeln den Friedhof in einen Spielplatz.
    Während Roger den Kindern zuschaut, die Begrab-mich-nicht oder Versteck zwischen den Grabsteinzähnen des Friedhofs spielen, denkt er, daß sein Sohn Bennie sicher

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