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Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Dann
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gingen sie und Pfeiffer Arm in Arm davon und wurden von der fröhlichen Menge verschluckt, während das traditionelle Feuerwerk knallte und sich in die Luft ringelte.
    Pretre führte Mantle zu der nächsten Transkapselstation. Während sie unterwegs waren, erlosch das Feuerwerk, und der ganze Kai bis zum La Castre-Museum wurde eine riesige Videostruktur. Laserstrahlen rekonstruierten die Kathedrale von Amiens, die von Terroristen zerstört worden war; imaginäre Kirchenschiffe und Kapellen schwebten wie in Gottes Geist über dem Fest. Leute schritten durch die Chorgänge und die heiligen Mauern der holographischen Struktur wie Engel, die in himmlischer Träumerei hin und her wanderten. In der Nähe der Transkapselstation wurde das Gedränge dichter, alle grölten und johlten. Wie auf ein Stichwort hin tauchten überall Straßenhändler auf und verhökerten ihre Ware: heilige Inhalatoren mit Staub aus Palästina, Splitter des echten Kreuzes, silberne Zauberamulette und Knochenteilchen des echten Christus. Unter ihnen war sogar eine alte, in Lumpen gekleidete Frau, die Datteln, Halwas und Gebetsriemen aus Plastik verkaufte.
    „Los, beeilen Sie sich“, sagte Pretre, offensichtlich angewidert von dem Treiben um ihn herum. Eine Transkapsel wartete in dem kleinen gläsernen Bahnhof, und eine Schiene verschwand einige Meter weiter unter der Erde. Die Transkapsel sah wie ein durchsichtiges Ei aus; sie wurde von einem Computer gesteuert und von einem in die schmale Schiene eingebauten Propobiassystem angetrieben.
    Pretre drückte auf den Koordinationsknopf, trübte die Wände zur Abschirmung, und mit einem leichten Ruck fuhren sie los.
    „Wo findet die Zeremonie statt?“ fragte Mantle nach einer Weile, um die peinliche Stille zu brechen. Pretre schien zu grübeln, als überlegte er, ob er Mantle letztlich zu dem Begräbnis mitnehmen sollte oder nicht.
    „Bei der Plage du Dramont“, sagte Pretre. „Südlich von hier.“
    Nach einer langen Pause fragte Mantle: „Hat Ellen Ihnen erzählt, warum ich der Zeremonie beiwohnen möchte?“
    „Ja“, sagte Pretre sachlich. „Sie hat mir erzählt, daß Sie Ihre Frau Josiane verloren haben. Eine furchtbare Sache, aber heutzutage kein ungewöhnliches Problem.“
    „Warum nehmen Sie mich, wenn Sie das wissen, zur Zeremonie mit?“
    „Damit Sie mit eigenen Augen sehen und zur Überzeugung gelangen können, daß wir durch die Gnade unserer Schreier, wie Sie sie nennen, nicht nur einen neuen Glauben gefunden haben, sondern auch eine andere, höhere Form des Bewußtseins“, sagte Pretre.
    „Und wenn ich ein Ungläubiger bleibe?“
    Pretre zuckte mit den Achseln. „Dann schulden Sie uns zumindest eine Gefälligkeit. Vielleicht werden Sie Ihr Gedächtnis wiedergewinnen oder auch nicht. Vielleicht vermag der sterbende Schreier Sie zu den Gedanken Ihrer Frau zu führen oder auch nicht. Aber ich bin ziemlich sicher, daß Sie das, was Sie heute abend sehen werden, nicht an die Öffentlichkeit bringen, da wir sonst Ihre Stellung beim Nachrichtenfex erschüttern würden. Angesichts Ihrer bisherigen Personalakte und Ihrer Einsperrung, nachdem Sie New York verlassen haben…“
    Mantle unterdrückt seinen Ärger; es hätte keinen Sinn, sich jetzt die Chance auf einen Steckkontakt zu verderben.
    „Wir haben noch ein ganzes Stück vor uns“, sagte Pretre. „Wenn Sie wollen, stelle ich Ihnen eine Denksportaufgabe.“ Er sagte es mit seiner sachlichen, allerdings jetzt ganz akzentfreien Stimme.
    „Warum haben Sie Ellen mitgebracht?“ fragte Mantle und ignorierte Pretres höfliches Angebot.
    „Zu Ihrer eigenen Sicherheit. Es war ihr Vorschlag; sie macht sich Sorgen um Sie. Sie kennen doch das Risiko, sich im Geist eines anderen zu verlieren, oder sollten es wenigstens kennen. Sie könnten selbst ein Schreier werden.“ Pretre lächelte und genoß seine Ironie. „Die Anwesenheit eines vertrauten, mitfühlenden Geistes könnte Ihnen von Nutzen sein, falls Sie abirren. Jetzt kennen Sie Ihr Risiko. Was immer Sie nun von Ellen halten mögen, sie liebt sie, und das schon einige Zeit. Das kann ich Ihnen versichern. Ich fand, daß Sie sie ziemlich schlecht behandelt haben, aber das geht mich nichts an…“
    „Ganz richtig“, sagte Mantle. „Das geht Sie nichts an.“ Aber Pretre hatte darin recht, daß Mantle sie schlecht behandelt hatte. Er hatte sie immer schlecht behandelt. Und nun hatte er Angst vor dem Alleinsein. Plötzlich kam ihm alles hart, metallisch, hohl vor. Mantle erinnerte

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