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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Reichtum und Subtilität des Innenlebens von Frauen und ihr Ringen um eine vom Mann unabhängige soziale und sexuelle Identität skizzierte, war Gustav Klimt der Vorreiter einer parallelen Entwicklung in der österreichischen Kunst. Die Malerei der österreichischen Moderne entstand aus der Überzeugung, dass eine wahrhaft moderne Kunst nicht nur moderne Gefühle ausdrücken, sondern auch ehrlich die unbewussten Motive darstellen müsse, die für Männer wie Frauen gleichermaßen als Triebfeder ihres Handelns dienen. In den Händen Klimts und seiner Schützlinge Oskar Kokoschka und Egon Schiele erwies sich die Malerei dem Kreativen Schreiben und der Psychoanalyse ebenbürtig in der Fähigkeit, Wiens restriktive Haltung gegenüber Sexualität und Aggression aufzubrechen und das wahre Innere der Menschen zu enthüllen. So behauptete Kokoschka: »Expressionismus sollte konkurrieren mit der Entdeckung der Psychoanalyse von Siegmund Freud und der Quantentheorie von Max Planck.« 78 Er hätte auch sagen können: »Wir alle sind Freudianer, wir alle sind Vertreter der Moderne; wir alle wollen tief unter die sichtbare Oberfläche vordringen.«
    Klimt war der anerkannte Anführer dieser neuen Bewegung der Moderne in der Wiener Kunst. Als erster Künstler Österreichs, der hinter das bloße Äußere vorstieß, brach er mit dem dramatischen, historischen Stil, der die österreichischen Maler in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnete, und wurde zur Symbolfigur des Übergangs zwischen dem Impressionismus und den explosiven Linien des Wiener Expressionismus. Klimt kombinierte den Jugendstil, die Wiener Variante des internationalen ornamentischen Art nouveau, mit einer modernistischen abstrakten Form – der flachen Darstellung –, die sich teilweise von den postimpressionistischen Malern Frankreichs sowie Cézanne und teilweise von der byzantinischen Kunst herleitete.
    Doch Klimt war mehr als nur ein stilistischer Pionier. Er war der erste österreichische Vertreter der Moderne, der in seinen Bildern die Sterblichkeit aufgriff und die Tabuthemen der weiblichen Sexualität und Aggression detailliert darstellte. Anders als seine Wiener Vorgänger sah er keine Notwendigkeit, die sich ihm präsentierende Sexualität seiner nackten Modelle zu unterdrücken oder sie in Allegorien oder stilisierten Symbolen zu verhüllen.
    In seinen zarten, sensiblen Zeichnungen lenkte Klimt den Blick auf die Freuden der Sexualität, während er in seinen Gemälden auch die Fähigkeit der Frauen zur Aggression darstellte. Somit ist Klimt stilistisch ein dekorativer, dem Jugendstil verhafteter Künstler und thematisch ein Expressionist, und er bereitete den Weg für die zwei großen expressionistischen Künstler Kokoschka und Schiele.
    Klimt leitete nicht nur mit seinen Gemälden und Zeichnungen die Ära der Moderne ein, sondern führte auch eine Gruppe Wiener Künstler an, die sich von der vorherrschenden Kunstrichtung abspaltete. Das im Jahre 1861 gegründete Künstlerhaus stand in enger Verbindung mit der einflussreichen Akademie der bildenden Künste, der viele seiner Mitglieder angehörten. Doch mit der Zeit wurde das Künstlerhaus in Geschmack und geistigem Horizont zunehmend provinzieller.
    1897 spaltete sich eine Gruppe von 19 ernüchterten Künstlern vom Künstlerhaus ab und bildete die Wiener Secession. Klimt wurde zum ersten Präsidenten dieser Gruppe ernannt. Nach dem Bau eines eigenen Ausstellungshauses konnte die Wiener Secession Ausstellungen ausländischer Künstler, wie van Gogh, oder aufstrebender junger Künstler präsentieren. So unterstützte Klimt maßgeblich die frühen Arbeiten von Kokoschka und Schiele.
    KLIMT HATTE ZAHLREICHE BEDEUTENDE romantische Affären, aus denen er eine Menge über Frauen lernte. Sein tiefes Verständnis ihrer Sexualität in Kombination mit seinen außergewöhnlichen zeichnerischen Fähigkeiten versetzte ihn in die Lage, mehr als die Sinnlichkeit des nackten Frauenkörpers wiederzugeben – er erfasste das Gefühl, die wahre Essenz der Weiblichkeit. In Klimts Zeichnungen zeigen die Modelle sich ihrer selbst bewusst und reagieren in einer völlig neuen Weise auf den Künstler. Albert Elsen beschreibt es folgendermaßen:
    Statt für die Nachwelt mit verschiedenen Stützen und Requisiten auf einem Podest zu posieren … und etwaige Betrachter vorgeblich völlig zu ignorieren, befindet sie sich nun ganz bewusst in der privaten Gesellschaft eines Mannes, der ein profundes Interesse an ihr hat,

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