Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
Vom Netzwerk:
Aufgabe als die integrative Tätigkeit des Nervensystems . Er behauptete, die entscheidende Aufgabe des Nervensystems bestehe darin, den relativen Wert der ankommenden Informationen zu beurteilen und aufgrund dessen Handlungsentscheidungen zu treffen.
    Die Ergebnisse aus Kufflers Experimenten über die synaptische Erregung und Hemmung bei einfachen Krebsen ermutigten Kuffler, die komplexeren Berechnungen zu untersuchen, die Nervenzellen in der Netzhaut von Säugetieren als Reaktion auf den Einfall von Licht ausführten. Nun erforschte er die Berechnung nicht mehr einfach aus Interesse an den mechanischen Zusammenhängen, sondern auch, um herauszufinden, wie ein sensorisches System des Gehirns Informationen verarbeitet. Oder wie er später einmal sagte: Er wollte verstehen, wie das Gehirn funktioniert.
    IN BESTER ROKITANSKY’SCHER TRADITION drangen Kuffler und nach ihm auch Hubel und Wiesel (Abb. 15-11) tief in das Gehirn von Versuchstieren vor, um die visuelle Wahrnehmung zu erforschen. Sie rechneten von Anfang an damit, dass verschiedene Neuronen vermutlich über unterschiedliche Zielrichtungen, Arbeitsweisen und Eigenschaften verfügen. Um bei der Untersuchung des Gehirns effektiv vorzugehen, mussten sie die Zellen demzufolge einzeln und nacheinander analysieren. Zuerst setzten Kuffler und dann auch Hubel und Wiesel winzige Aufnahmeelektroden in die Netzhaut des Auges und später ins Gehirn ein, um dort in den Nervenzellen auftretende elektrische Impulse zu registrieren. Sie schlossen ihre Aufnahmeelektroden an ein Oszilloskop sowie an einen Audioverstärker und einen Lautsprecher an; so konnten sie am Oszilloskop sehen, wie einzelne Zellen Aktionspotenziale feuerten, und sie gleichzeitig über den Lautsprecher wie winzige Feuerwerkskörper losgehen hören. Mithilfe dieser Einzelzellmethoden untersuchten Kuffler, Hubel und Wiesel nach und nach, wie Zellen in verschiedenen Regionen des Sehsystems auf elementare Reize reagieren und wie die Information durch die unterschiedlichen Relais transformiert wird, die sich von der Netzhaut bis zu höheren Seharealen des Gehirns erstrecken.

    Abb. 15-11.
David Hubel (*1926) und Torsten Wiesel (*1924).
Wiesel ( rechts ) und Hubel führten Kufflers Forschungen über das Sehen fort, indem sie den Ort ihrer Erkundungen von der Netzhaut auf die Großhirnrinde verlagerten. Für ihre Arbeit über die Informationsverarbeitung im Sehsystem teilten sie sich 1981 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
    Zuerst zeichnete Kuffler die Aktionspotenziale auf, die einzelne Ganglienzellen der Netzhaut, im Zentrum und in der Peripherie, erzeugten. Er fand heraus, dass diese spezialisierten Neuronen Informationen über ein visuelles Bild sowohl von Zapfen als auch von Stäbchen empfangen, dass sie diese Informationen in ein Muster von Aktionspotenzialen umwandeln und sie dann ans Gehirn übermitteln. Dabei machte er seine erste verblüffende Entdeckung: Die Ganglienzellen der Netzhaut schlafen nie. Sie feuern spontan Aktionspotenziale, auch in Abwesenheit von Licht oder irgendwelchen anderen Reizen (Abb. 15-12). Wie ein selbststartendes Gerät – etwa ein Rauchmelder – sucht diese langsame, spontane Feueraktivität die Umgebung nach Signalen ab und produziert ein kontinuierliches Aktivitätsmuster, auf das nachfolgende visuelle Reize einwirken können. Erregende Reize verstärken das Feuern und hemmende schwächen es ab.

Abb. 15-12.
Organisation des rezeptiven Feldes einer On-Zentrum-Zelle.

Dann gelang Kuffler eine zweite Entdeckung. Er stellte fest, dass sich das spontane Muster, in dem Ganglienzellen der Netzhaut feuern, am effektivsten nicht etwa dadurch verändern lässt, dass man die gesamte Netzhaut mit einem starken, diffusen Licht beleuchtet, sondern indem man einen kleinen Lichtpunkt auf einen Teil der Netzhaut richtet. Auf diese Weise fand er heraus, dass jedes einzelne dieser Neuronen sein eigenes Netzhautterritorium besitzt, sein persönliches rezeptives Feld , das einem bestimmten Teil der Außenwelt entspricht. Jedes Neuron liest nur innerhalb seines eigenen rezeptiven Feldes Reize und reagiert auf sie, und jedes Neuron übermittelt nur Informationen aus seinem eigenen rezeptiven Feld ans Gehirn. Als Nächstes entdeckte Kuffler, dass die Frequenz, mit der ein Neuron feuert, eine Funktion der Lichtintensität ist, die auf sein rezeptives Feld trifft, und dass die Dauer des Feuerns von der Dauer des Lichtreizes abhängt. Da die gesamte Netzhaut mit den rezeptiven Feldern

Weitere Kostenlose Bücher