Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
dann hatte sie Pippa bekommen, die talentierte, schöne, kluge Pippa, die ihren eigenen, selbstgerechten Kopf hatte und alles kaputtmachen musste, wovon Dana geträumt hatte.
Mit Liebe zu Sean hatte Pippas Beziehung nicht viel zu tun gehabt, auch wenn sie es so dargestellt hatte. Sean war der lebende Beweis, dass sie anders war als ihre Familie. Das Aushängeschild dafür, ein besserer Mensch zu sein. Nicht am Geld interessiert, nicht an Glamour und Partys. Nicht oberflächlich und auf Klassenschranken bedacht. Abseits von verstaubten, erstarrten gesellschaftlichen Konventionen. Eine Beziehung zu Sean hatte all das bewiesen: Pippa war anders. Pippa war besser.
Nein, mit Liebe, wahrer Liebe hatte das nichts zu tun gehabt …
Sieben Jahre lang nach Sean zu suchen, war zur fixen Idee geworden, weil Pippa Angst bekommen hatte, er könnte sie verlassen haben, wegen ihr gegangen sein. Sie hatte befürchtet, etwas falsch gemacht zu haben. Ihn durch ihre Eifersucht vertrieben zu haben.
Je länger Dana nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr, dass Pippa Sean gerächt haben sollte, indem sie seine vermeintliche Mörderin erschlug. Dieser Gedanke hatte nahezu biblische Ausmaße. Und es war auch gar nicht sicher, dass Lillian etwas mit Seans Verschwinden zu tun hatte. Es war alles nur Vermutung. Pippa konnte unmöglich irgendwo Beweise gefunden haben. Es sei denn, sie wären zusammen mit Pippa verschwunden … Aber selbst wenn ihre Schwester davon überzeugt gewesen wäre, mit Lillian die Mörderin von Sean gefunden zu haben – würde sie sie tatsächlich erschlagen? Im Affekt? Danach abhauen und untertauchen?
Menschen änderten sich. Die Pippa, die früher besserwisserische Vorträge über Umweltschutz und gegen Tierquälerei gehalten hatte, war dieselbe, die nach einer veganen Phase wieder Fleisch gegessen hatte. Ansichten änderten sich. Aber Temperamente? Dana konnte sich vorstellen, dass Pippa zu Lillian gefahren war, um sie zur Rede zu stellen. Es war nicht so, dass sie ihr keinen Mord zutraute, weil sie ihre Schwester war. Dana traute ihrem Vater sofort einen Mord zu. Sogar ihrem Bruder. Nicht zwingend ihrer Mutter, dazu war diese zu phlegmatisch.
Vorhin in der Bibliothek von Cedric Darney hatte alles noch so logisch geklungen. Michael war nach Hause gefahren mit den Worten, er müsse jetzt erst einmal unbedingt schlafen, es sei ihm alles zu viel. Allein in der Wohnung ihrer Schwester waren ihr Zweifel gekommen, und aus diesen Zweifeln war Sicherheit geworden: Der Abend, der Lillian Darney den Tod gebracht hatte, musste ganz anders verlaufen sein, als sie gedacht hatten. Rache war das Motiv gewesen, aber nicht Pippa hatte sich gerächt …
Einen Anruf würde sie führen müssen, ein Gespräch, und wenn sie Glück hatte, würde derjenige reden, weil sie ihn mit der Wahrheit konfrontierte. Einen Anruf war sie entfernt.
Sie brauchte noch etwas Geduld. Mit einem traurigen Lächeln stand sie auf und ging in das Büro ihrer Schwester. Dort fand sie, wie erwartet, eine Zigarettenschachtel in der untersten Schublade des Schreibtisches. Sie war halb voll. Dana nahm eine heraus, suchte Streichhölzer, holte den wärmsten Mantel, den sie dabei hatte, und ging raus.
Kalte Luft und Nikotin würden ihr beim Warten helfen.
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Dienstag, 29. 5. 2007
MEINE SCHEISSSCHWESTER HAT MIT SEAN GESCHLAFEN!
19.
Cedric schloss sich ein.
Die Tür, die zur Bibliothek führte, stellte kein Hindernis dar. Nicht, wenn es jemand wirklich ernst meinte.
Dann rief er die Polizei und nannte seine Adresse.
»Verhalten Sie sich ruhig und unternehmen Sie nichts, das Sie gefährden könnte«, sagte man ihm.
Indirekt unterstellte man ihm tatsächlich Mut. Als ob er etwas tun würde, das ihn gefährden könnte.
Vielleicht war es an der Zeit, so etwas zu tun. Irgendwann. Nicht heute.
Der Streifenwagen würde so schnell wie möglich kommen, hatte man ihm gesagt. So schnell wie möglich, was bedeutete das in Minuten? Und bei diesem Wetter? Er bekam keine Antwort. Wurde nur aufgefordert, ruhig zu bleiben, die Tür weiterhin geschlossen zu halten und sich an einem sicheren Ort zu verstecken.
Gab es in einer Bibliothek einen sicheren Ort? Er ging leise in den der Tür am entferntesten liegenden Teil und drückte sich hinter das letzte der Bücherregale in eine Ecke. Er hatte darauf geachtet, nicht fest aufzutreten, damit sie unter ihm keine Schritte hörten. Vermutlich sinnlos. Es gab hier einen Safe,
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