Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
seiner Andersartigkeit stärkte. Und William war der Einzige, der von Cedrics Familie übrig war. Seine einzige Chance, einmal wirklich Familie zu haben. Einen Bruder zu haben.
Eine Frau erschien auf dem Bildschirm, Linda Kjellberg. Sie sah verwirrt aus, vielleicht das erste Mal, dass sie über eine Webcam telefonierte. Er suchte in ihrem Gesicht nach Ähnlichkeit mit Lillian, aber er konnte keine finden. Sie kam vielleicht nach ihrem Vater. Linda Kjellberg, das wusste er, war neunundfünfzig, hätte aber auch älter sein können. Sie wirkte unsicher, überprüfte den Sitz ihres Haars, tastete vorsichtig ihr Gesicht ab, so als könnte sie fühlen, ob ihr Make-up richtig aufgetragen war.
Erst an diesem Morgen hatten es die isländischen Behörden geschafft, sie zu finden und ihr den Tod ihrer Tochter mitzuteilen. Mit Lillians Anwälten hatte sie schon gesprochen. Und nun ließ auch Cedric ihr keine Zeit zu trauern.
»Ich wusste nicht einmal, dass ich einen Enkel habe«, erzählte sie. Ihr Akzent hatte sich dem Englisch, das die Skandinavier sprachen, angenähert, aber man hörte noch heraus, woher sie kam: bestenfalls untere Mittelschicht. Von dem sauber antrainierten Oberschichtsenglisch, das Lillian gesprochen hatte, war sie meilenweit entfernt. Linda war wenigstens ehrlich, was ihre Herkunft anging. »Meine Tochter hat sich zuletzt bei mir gemeldet, das war …« Sie sah rasch zur Seite, vielleicht, weil dort jemand stand, der ihr Sicherheit vermittelte, vielleicht auch nur, um sich zu erinnern. »… vor über sieben Jahren. Ich wusste auch nicht, dass sie geheiratet hatte. Und wen. Sie sind also ihr Stiefsohn? Sie sind nicht sehr viel jünger als meine Tochter. Kümmern Sie sich um meinen Enkel?«
Bolitho warf sich vor die Kamera und erklärte ihr, dass über das Sorgerecht noch zu entscheiden sei.
»Ich kann ihn nicht nehmen«, sagte Linda. »Wirklich nicht. Muss ich ihn denn nehmen?«
»Nein«, sagte Cedric.
»Ja«, sagte Bolitho.
»Nein«, sagte Cedric wieder. »Sie müssen nicht. Der Junge muss speziell gefördert werden. Ich kann verstehen, dass Sie diese Verantwortung nicht übernehmen wollen.«
Bolitho räusperte sich. »Könnte ich kurz mit Ihnen …«
Wieder brachte er den Anwalt mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Sie müssen sich keine Sorgen machen, Mrs Kjellberg.«
»Linda«, sagte sie. »Kümmern Sie sich dann um … Ihren Bruder, nicht wahr? Der Junge ist dann wohl Ihr Bruder. Halbbruder. Macht mich das zu Ihrer Großmutter? Ich glaube, ich bin Ihre Stiefgroßmutter, falls es so etwas gibt.«
»Er wird es in jedem Fall gut haben, und wenn Sie ihn besuchen wollen, umso besser.«
Sie zögerte.
»Wenn Sie wollen«, wiederholte Cedric.
»Gut, gut … Das hört sich großartig an.« Sie klang nicht aufrichtig.
Bolitho schaltete sich ein. »Wir haben ja nun Ihre Kontaktdaten und Sie unsere. Sicher gibt es noch eine Menge zu besprechen, das werden Ihnen die Anwälte Ihrer Tochter schon gesagt haben, und ich vermute, wir sehen uns bei der Beerdigung …«
»Oh, nein«, sagte Linda, viel zu hastig. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Zur Beerdigung gehen, meine ich. Ich … ich bin nicht besonders gut mit solchen Sachen.«
Bolitho schien so überrascht, dass es ihm die Sprache verschlug.
»Was macht Ihnen Angst, Linda?«, fragte Cedric leise.
»Ich weiß nicht … Ich kenne doch dort niemanden … Meine Tochter, mit einem Lord verheiratet. Wer kommt zu so einer Beerdigung? Ich könnte mit niemandem reden. Und ich würde die Einzige sein, die keine Ahnung hat, wer Lillian war. Ich bin ihre Mutter, und ich kenne sie nicht.« Sie verstummte. Tränen, die Cedric erwartet hatte, blieben aus. Linda starrte mit verkniffenem Mund in die Kamera. »Sieben Jahre aus dem Leben meiner Tochter sind mir vollkommen fremd, und davor hatten wir auch schon nicht das beste Verhältnis, weil ich nie mit ihren Männergeschichten einverstanden war. Ich habe ihr immer gesagt: Lilly, du musst auf dich achten, du darfst dich nicht immer mit diesen zwielichtigen Gestalten herumtreiben. Es war, als hätte sie eine Schwäche für Männer, die schon mal saßen. Sie sagte, ich solle sie in Ruhe lassen, sie wisse genau, worauf sie sich einlasse, und es seien alles ganz harmlose Jungs, nette Männer, missverstandene Seelen. Wir haben uns fürchterlich zerstritten, und dann hat sie sich nicht mehr gemeldet. Sicher auch mein Fehler. Aber es ist nicht mehr zu ändern.« Sie atmete tief durch, um ihre Stimme, die
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