Das zerbrochene Siegel - Roman
können wir frei sprechen, ohne meine Mitschwestern zu stören.«
Durch die Tür zu seiner Rechten führte sie ihn schweigend in den Kreuzgang des Klosters. Eine Novizin mit weißem Schleier schöpfte Wasser aus dem Brunnen im Innenhof, doch sonst war niemand zu sehen. Bandolf folgte der jungen Nonne am Kapitelhaus entlang und am Refektorium vorbei, das der Kirche gegenüberlag.
Schließlich gelangten sie zu einem hohen Zaun aus Holzlatten. Eine niedrige Pforte führte in den Klostergarten, der in seiner Üppigkeit den Kräutergarten seiner Gattin wie
einen mageren Grasflecken erscheinen ließ. Im vorderen Teil befanden sich sorgfältig abgegrenzte Kräuterbeete, an die sich Reihen mit Winterrüben und Kohl anschlossen. Ein schmaler Pfad führte hinter den Gemüsebeeten durch struppige Hecken von Himbeeren, Stachelbeeren und Brombeeren zu zaghaft knospenden Obstbäumen, die so dicht beieinanderstanden, dass man das Ende des Gartens nicht sehen konnte.
Kaum hatten sie den Eingang passiert, fragte Schwester Lukas: »Wie kann ich Euch behilflich sein?«
»Erzählt mir einfach alles, was Ihr über Beatrix von Teveno und ihren Gatten wisst. Wer ist sie? Woher kam sie? Und wo hat Ulbert von Flonheim sie gefunden?«
Die junge Nonne lachte leise. »Oh Himmel, ich hoffe, ich kann mir all Eure Fragen auch merken.« Der heitere Ausdruck in ihrem Gesicht verschwand, und sie schüttelte betrübt den Kopf. »Ulbert von Flonheim erzählte uns, dass sie in der Nähe der Bergkirche St. Peter bewusstlos am Wegesrand gelegen hat. Seine Gemahlin überließ der Fremden ihre Sänfte. So brachten sie Beatrix zu uns ins Kloster.«
»Waren Ulbert und seine Gemahlin noch einmal hier, um sich nach ihrem Schützling zu erkundigen?«
»Nein. Soviel ich weiß, war außer ihrem Gatten niemand hier, um sie zu besuchen.«
»Wie ging es Beatrix, als sie zu Euch gebracht wurde? War sie bei Bewusstsein? Habt Ihr mit ihr gesprochen?«
Bei den Bohnenranken blieb Schwester Lukas stehen und schob ihre gefalteten Hände unter ihr Skapulier.
»Beatrix hatte hohes Fieber, war kaum bei sich und erholte sich nur langsam. Sie konnte uns nicht sagen, wie sie hieß oder wie sie dorthin gekommen war, wo Ulbert von Flonheim sie gefunden hatte. Und selbst, als es ihr besser ging, wollte sie uns nichts sagen. Vielleicht wusste sie es aber auch selbst nicht. Sie war sehr schwach. Doch dann
kam Beatrix’ Gemahl zu uns ins Kloster, und daher kennen wir ihren Namen.«
»Wer ist dieser Gatte?«, wollte Bandolf wissen.
»Sein Name ist Arnold von Clemante.« Ein Schatten flog über Schwester Lukas’ Gesicht. Sie senkte den Kopf und seufzte. »Ein ungehobelter Mensch«, gestand sie leise. »Er erschreckte Schwester Synesia zu Tode, als er an die Pforte hämmerte und verlangte, umgehend zu seinem Weib gebracht zu werden. Er habe gehört, es befände sich ein unbekanntes Weib im Kloster, erklärte er der Mutter Oberin. Und dabei könne es sich nur um sein Weib handeln. Sie sei auf dem Weg nach Speyer gewesen und wäre dort nicht angekommen.«
»Wann war das?«
»Am Tag des heiligen Pionius.«
Bandolf runzelte die Stirn. St. Pionius war erst vorgestern gewesen, der Tag des Frühlingsfestes. In jener Nacht war Ulbert von Flonheim ermordet worden.
»Und dann?«
»Nun, wir mussten seiner Bitte natürlich entsprechen. Ich begleitete ihn ins Hospiz. Dort angekommen, warf er einen Blick auf die Kranke und bestätigte, dass sie Beatrix von Teveno, seine Gemahlin, sei.« Die Nonne senkte den Kopf und verstummte.
»Beunruhigt Euch etwas, Schwester?«, forschte Bandolf.
»Es ist nur … Kaum hatte er seine Gemahlin gesehen, wandte er sich wieder von ihr ab und fragte mich nach ihrer Habe. Ich gab ihm natürlich, was sie bei sich gehabt hatte: einen Beutel mit einem Unterkleid darin, einen geschnitzten Kamm aus Horn, ein Säckchen mit Salz und ein schönes, irisches Kreuz, das sie unter ihrem Gewand getragen hatte.« Eine kleine Zornesfalte erschien auf Schwester Lukas’ glatter Stirn. »Das Kreuz nehme er besser in seine Obhut, bevor es womöglich verlorenginge, meinte er. Und dann fragte
er mich, ob das alles gewesen sei, was Beatrix bei sich gehabt hätte. Ich fragte ihn, ob er denn etwas vermissen würde, und er antwortete, das hätte er nicht behauptet.«
»Und das hat Euch beunruhigt?«
Sie legte den Kopf schräg und dachte einen Moment lang nach. »Es waren nicht die Worte, die er sprach, sondern wie er sie sprach. Versteht Ihr?«
Bandolf nickte, doch im
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