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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
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überlegte Bandolf laut.
    »Ihr Gatte hätte das sicher bemerkt«, sagte die junge Nonne. »Und ich zeigte ihm ja alles, was Beatrix bei sich hatte. Ich …« Sie verstummte, runzelte die Stirn, und ihre Wangen verloren an Farbe. »Oh Himmel«, hauchte sie. »Die Reliquie.«
    Bandolf merkte auf. »Was für eine Reliquie?«
    »Es war meine Aufgabe, die Kranke zu waschen, als sie
zu uns gebracht wurde. Dabei entdeckte ich ein Stückchen Pergament in ihrer Faust. Ich dachte, es müsse sich um eine Reliquie handeln, da sie es selbst in ihrem geschwächten Zustand noch fest umklammerte«, antwortete sie leise und schlug ein Kreuz über ihrer Brust. »Gott verzeih mir, aber ich vergaß, das ihrem Gatten gegenüber zu erwähnen.«
    »Und wo ist das Stück Pergament jetzt?«
    »Ich gab es der Ehrwürdigen Mutter, und sie zeigte es Schwester Maria Donna, der Vorsteherin unseres Skriptoriums. Sie meinte, es könne sich unmöglich um eine Reliquie handeln, da man kein entsprechendes Behältnis bei der Kranken entdeckt habe.« Errötend senkte sie den Kopf. »Aber ich legte es dennoch unter Beatrix’ Lager, damit es ihr bei der Genesung helfe.«
    »Offenbar hat es nicht geholfen«, murmelte Bandolf. Er dachte an Strohhalme und fragte laut: »Könnt Ihr mir das Pergamentstück zeigen?«
    Für einen Moment schien die junge Nonne geneigt, seinen Wunsch abzuschlagen, doch dann nickte sie. »Wenn Ihr das wünscht. Bitte wartet hier.«
     
    Ungeduldig ging der Burggraf zwischen Hecken und Beeten auf und ab, während er auf die Rückkehr der Nonne wartete. Der Besuch hier im Kloster hatte sich als reine Zeitverschwendung erwiesen. Es ging auf die Mittagszeit zu, sein Magen verlangte dringend nach einer Stärkung, und im Grunde bezweifelte er, dass dieses Stückchen Pergament sich bei der Suche nach Ulberts Mörder als hilfreich erweisen würde. Mit jedem Schritt verschlechterte sich seine Laune.
    Ein neuerliches Knacken, lauter diesmal, ließ ihn herumfahren. Für einen Moment von der Sonne geblendet, blinzelte er und sah nur schemenhaft eine Gestalt zwischen den Hecken auf ihn zuschweben.

    »Verzeiht mir, ich wollte Euch nicht erschrecken«, hörte er eine melodische Stimme sagen. Bandolf kniff die Augen zusammen und starrte die bezaubernde Erscheinung sprachlos an.
    Sie trug ein blaues Gewand, das nur am Saum mit filigraner Stickerei verziert war und sich wie eine enge Hülle aus Kornblumen an ihren biegsamen, schlanken Leib schmiegte. Ein Schleier umschmeichelte ihre feinen Züge und bedeckte nur einen Teil ihres dunklen Haars, das bis zu den gerundeten Hüften über ihren Rücken floss und in der Sonne wie eine reife Kastanie glänzte. Im ersten Moment dachte Bandolf, sie müsse noch fast ein Kind sein, doch dann erkannte er an der Gelassenheit ihrer Bewegungen, dass es sich um eine junge Frau handelte.
    Zwei Schritte vor ihm blieb sie stehen. Bandolf nahm den Duft nach Lavendel wahr, der sie wie eine hauchzarte Wolke einzuhüllen schien.
    »Ich wollte Euch wirklich nicht erschrecken«, wiederholte sie. Ein Lächeln umspielte ihre schön geschwungenen Lippen und spiegelte sich im dunklen Blau ihrer Augen.
    Endlich fand Bandolf seine Sprache wieder. »Ihr habt mich nicht erschreckt«, behauptete er.
    Zweifelnd hob sie eine wohlgeformte Augenbraue, doch ihr Lächeln vertiefte sich. »Ich bin im Obstgarten spazieren gegangen, als Ihr mit Schwester Lukas in den Garten gekommen seid, und wollte Euer Gespräch nicht stören. Darum blieb ich, wo ich war«, erklärte sie. Mit einer anmutigen Bewegung hob sie ihr Gewand an, zeigte ihm die Spitze eines schmalen Schuhs und schickte sich an, den Weg zu den Obstbäumen zurückzukehren, den sie gekommen war.
    Unwillkürlich folgte Bandolf ihren Schritten. »Ihr seid Gast im Kloster?«, fragte er.
    Sie warf ihm über die Schulter einen heiteren Blick zu
und nickte. »Für ein Weilchen noch«, sagte sie. »Meine Familie besitzt Ländereien jenseits der Alpen, doch ich verbrachte die letzten beiden Jahre in Bamberg bei meiner Tante. Nun wird aber mein Bruder vermählt, und ich reise nach Hause. Mein Vetter sollte mich begleiten, doch unvorhergesehene Geschäfte veranlassten ihn, die Reise abzubrechen.« Abrupt blieb sie stehen und drehte sich so rasch zu ihm um, dass er beinahe mit ihr zusammengestoßen wäre. Der feine Lavendelduft umschmeichelte ihn, und für einen Moment verlor sich Bandolf in ihren Augen. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Rasch trat er einen Schritt zurück.

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