Das zerbrochene Siegel - Roman
erreicht, doch vor dem Tor zögerte er. Da hatte es doch etwas auf Ulberts Weg gegeben, das als ungewöhnlich gelten mochte.
Seufzend machte der Burggraf kehrt.
Noch so ein Strohhalm, dachte er fatalistisch, als er die Stadt durch die Pfauenpforte verließ.
KAPITEL 4
E ine ältere Nonne, die den Dienst bei der Pforte versah, führte den Burggrafen durch die Kirche zum Sprachzimmer des Klosters, in dem die Äbtissin Besucher zu empfangen pflegte. Während sie ihm schweigend vorausschritt, sah Bandolf sich neugierig um. Es war schon längere Zeit her, dass er hier gewesen war, und inzwischen hatte die Kirche einen neuen Anstrich bekommen. Farbenfrohe Fresken prangten an den weiß getünchten Wänden, und Marmorplatten auf dem Boden bildeten ein Schachbrettmuster. Bandolf bestaunte die mit Blei eingefassten Glasfenster, durch die die Sonne in den stillen, weiten Raum fiel. Eine Kostbarkeit, die noch nicht einmal der Dom zu Worms aufweisen konnte. Flüchtig fragte er sich, wer der Spender gewesen sein mochte, der dem Kloster die Mittel für das kostbare Glas bereitgestellt hatte. Vor dem Altar der Heiligen Jungfrau beugte die Nonne ihr Knie und bekreuzigte sich. Bandolf tat es ihr gleich, dann folgte er ihr hinter eine Treppe zur Rechten des Chors und durch eine niedrige Pforte zum Sprachzimmer der Äbtissin.
Fackeln erhellten den Raum. In die der Pforte gegenüberliegende Wand war ein fenstergroßes Gitter in Brusthöhe eingebracht worden, über dem ein schlichtes Holzkreuz hing. Zu Bandolfs Rechter befand sich eine weitere kleine Tür, die offenbar zum Kreuzgang hinausführte. Ansonsten war der Raum leer.
Die Nonne bedeutete ihm, vor dem Gitter zu warten, bevor sie den Raum wieder verließ.
»Benedicite, Burggraf«, grüßte ihn die strenge Stimme der Äbtissin durch das Gitter. »Womit können wir Euch dienen?«
Bandolf räusperte sich. »Gott befohlen, Ehrwürdige Mutter«, sagte er laut, als wolle er der Stille rings um ihn Leben verleihen. »Ich bin gekommen, um mich wegen des kranken Weibes zu erkundigen, das Ulbert von Flonheim zu Euch gebracht hat. Ist sie noch bei Euch?«
»Ja, sie liegt in unserem Hospiz.«
»Dann würde ich gerne mit ihr sprechen.«
»Das müsst Ihr Euch aus dem Kopf schlagen, Burggraf. Ich werde keine Besuche mehr gestatten, die sie beunruhigen könnten.«
»Heißt das, es war schon jemand hier, der sie besuchen wollte?«, erkundigte sich Bandolf.
»Ihr Gatte war hier.«
»Ihr Gatte?«, wiederholte Bandolf überrascht. »Dann wisst Ihr, wer sie ist?«
»Ja, Burggraf«, kam die sparsame Antwort durch das Gitter.
Mühsam kämpfte Bandolf seine Ungeduld nieder. Wie immer, wenn ihn die Äbtissin in ihrem Sprachzimmer empfing, fühlte er sich ihrer körperlosen Anwesenheit gegenüber unbehaglich.
»Wollt Ihr Euer Wissen nicht mit mir teilen?«, erkundigte er sich.
»Aus welchem Grund ist diese Frau plötzlich so von Interesse für Euch?« Die Stimme der Äbtissin war freundlich, doch glaubte er, einen argwöhnischen Unterton darin zu hören.
»Es ist möglich, dass die Kranke in Eurem Hospiz im Zusammenhang mit dem Mord an Ulbert von Flonheim steht.«
»Wir haben vom unseligen Tod des Herrn von Flonheim
gehört«, sagte die Äbtissin. »Glaubt Ihr wirklich, unsere Kranke hat irgendetwas damit zu schaffen?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Bandolf. »Doch um Ulberts Mörder zu finden, will ich nichts unversucht lassen und allem nachgehen, womit der Mann in Verbindung stand.«
Eine Weile blieb es still hinter dem Gitter, während die Äbtissin zu überlegen schien. Bandolf wippte auf seinen Fü ßen.
»Ja, ich verstehe, Burggraf«, sagte sie endlich. »Wenn Ihr so gut sein wollt, dann wartet hier für einen Moment. Ich schicke Schwester Lukas zu Euch. Sie kümmert sich um die Kranke und wird Eure Fragen beantworten, so gut sie es vermag. Jesus Christus mit Euch, Burggraf.«
Noch ehe Bandolf Einwände erheben konnte, hörte er das leise Quietschen einer Tür, und er war allein im Raum. Er musste so lange warten, dass er schon glaubte, man hätte ihn schlichtweg vergessen. Doch schließlich öffnete sich die Pforte, durch die auch er gekommen war, und eine junge Nonne trat ein. Ihr glattes Gesicht unter dem schwarzen Schleier war rosig überhaucht, und sie begrüßte ihn mit einem strahlenden Blick. »Ich bin Schwester Lukas. Die Ehrwürdige Mutter gab mir Order, mit Euch über Beatrix von Teveno zu sprechen, Burggraf«, sagte sie heiter. »Bitte folgt mir in den Garten, dort
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