Das zerbrochene Siegel - Roman
sei ihm etwas Unsichtbares auf den Fersen. Noch während ihm furchterregende Gedanken an Waldgeister, Trolle und andere Höllengeschöpfe durch den Kopf schossen, die von der greifbareren Gefahr durch Wölfe, Bären und Schwarzwild abgelöst wurden, fuhr seine Hand an das Schwert an seinem Gürtel. Das scharfe Geräusch von Eisen auf gehärtetem Leder durchschnitt die Stille, als der Burggraf blankzog. Das Knacken verstummte. Regungslos verharrte er. Dann setzte das Knacken wieder ein, veränderte sich und wurde lauter.
Eine Gestalt trat aus dem Unterholz auf den Weg.
Über sich selbst lächelnd, schüttelte Bandolf den Kopf. Mit einem derben Scherz auf den Lippen wollte er schon auf den Weg treten, um Bruder Kilian zu begrüßen, als er plötzlich die Stirn runzelte. Wo kam der junge Benediktiner her? Wieso hatte er den unbequemen Trampelpfad genommen und nicht den breiteren Weg? Und warum stand er jetzt offenkundig unschlüssig da und reckte suchend den Kopf?
Es schien so, als wäre der Mönch ihm vom Kloster aus gefolgt und hätte den Burggrafen dann im Unwetter aus den
Augen verloren. Die Frage war: Wieso sollte er dergleichen tun?
Mit schmalen Augen beobachtete Bandolf, wie der Mönch nach einer Weile mit den Schultern zuckte, um sich dann eilig in Richtung Stadt in Bewegung zu setzen. Er wartete, bis Bruder Kilian ein gutes Stück vor ihm war, bevor er sich aus dem Unterholz herausschälte.
Es war ein Leichtes, ihm zu folgen. Der junge Mönch blickte nicht einmal hinter sich, während er eilig seines Weges ging, und als sie die Stadt erreicht hatten und die belebten Gassen durchquerten, verflog Bandolfs Argwohn. Was immer der Benediktiner auf dem Pfad im Unterholz gewollt hatte - es schien nichts weiter als ein Zufall gewesen zu sein, dass er ihm dort begegnet war.
An der Diebsgasse angelangt, erwartete der Burggraf, dass der Mönch in Richtung Pfalzhof einbiegen würde, um zum Domstift zurückzukehren, doch stattdessen überquerte Bruder Kilian den Marktplatz. Mit neu erwachtem Misstrauen folgte Bandolf ihm über die Hachgengasse und beobachtete mit grimmiger Genugtuung, wie der Mönch in die Münzergasse einbog.
Ein Karren mit einer Fuhre schrumpeliger Rüben ratterte vor ihm über die Gasse, und Bandolf musste warten, bis das Gefährt vorübergerumpelt war. Obwohl er sich beeilte, hatte er den Mönch aus den Augen verloren, als er die Ecke zur Münzergasse erreichte.
Bandolf blieb stehen. Über die Köpfe der Passanten hinweg spähte er in die Gasse, doch der Mönch war nirgendwo zu sehen.
Plötzlich entdeckte er schwarzes Tuch, das aus einer Hausnische direkt gegenüber seinem Anwesen hervorragte. Das musste er sein! Hol’s der Teufel, was trieb er da? Beobachtete er sein Haus? Wartete er auf jemanden? Unzusammenhängende Gedanken, die mit Ulberts Leiche auf
seiner Türschwelle begannen und mit Spekulationen bezüglich der Tugend Bruder Kilians einhergingen, schossen ihm durch den Kopf. Eine Zeitlang wartete Bandolf darauf, dass der Mönch wieder aus der Nische herauskäme, doch als all seine stummen Erklärungsversuche keinen Sinn ergaben, die Kälte unter seinen Umhang kroch und sein Magen lautstark nach einer Stärkung verlangte, beschloss er verärgert, dass es genug sei. Der Mönch sollte ihm selber Rede und Antwort stehen!
Doch noch ehe der Burggraf seinen Entschluss in die Tat umsetzen konnte, sah er Bruder Kilian plötzlich aus der Nische treten und die Gasse zu seinem Haus überqueren. Vor dem Tor blieb er stehen. Mit wachsender Neugier beobachtete Bandolf, wie der Mönch die Hand hob, zögerte, die Hand wieder sinken ließ und schließlich zwei Schritte zurücktrat, ohne geklopft zu haben. Offenkundig unschlüssig, sah er sich um. Schließlich hob er die Schultern, trat erneut ans Tor, und dieses Mal klopfte er.
Nach einer kleinen Weile zeigte Egin, Bandolfs Torwächter, sein verschrumpeltes Gesicht durch einen Spalt in der Pforte, dann öffnete er und hieß den Mönch eintreten.
Als Bandolf sein Haus erreichte und die Diele betrat, kam ihm sein Weib mit Bruder Kilian an ihrer Seite entgegen.
»Ach seht nur, nun seid Ihr doch nicht umsonst gekommen«, rief Matthäa. Mit einem Lächeln, das eigenartig erstarrt wirkte, wandte sie sich an ihren Gatten. »Der gute Bruder überbringt Euch Nachricht des Königs aus Lorsch, doch ich wusste nicht, wann Ihr zurück sein würdet, und er wollte nicht warten. Mögt Ihr ihn überreden, sich mit einem Becher Würzwein aufzuwärmen, bevor er
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