Das zerbrochene Siegel - Roman
viel Wärme und wenig Qualm zum Schlafen niederlegen konnte, kam der dicke Otwin an den Tisch. Zuerst glaubte Prosperius, der Hauseigene wolle die Reste von Brot und Käse abräumen, doch stattdessen setzte sich Otwin auf die Bank.
»Arnold von Clemante ist wirklich ein übler Mensch und im Tal nicht wohlgelitten«, bemerkte er, während er sich selbst aus dem Weinkrug einschenkte und Prosperius über den Rand des Bechers einen abschätzenden Blick zuwarf.
»Du weißt mehr über den Mann, habe ich recht?«, erkundigte sich Prosperius vorsichtig.
»Das will ich meinen«, antwortete Otwin mit einem breiten Grinsen. »Schließlich bin ich der Hausmeier des Herrn vom Diemerstein. Ich bin des Öfteren im Tal, um Pacht und Zins einzutreiben. Und da höre und sehe ich eine Menge.«
»Dann erzähl mir, was du über Arnold von Clemante und seine Gattin gehört hast«, forderte Prosperius ihn auf.
Gewichtig presste Otwin sein rundes Kinn gegen seinen Hals. »Warum sollte ich mein Wissen mit dir teilen?«
Prosperius’ Miene hellte sich auf. Diese Sprache war ihm vertraut. Geschickt klaubte er einen Hälbling aus seinem Beutel und hielt sie dem Hausmeier unter die Nase. Otwins Äuglein blitzten auf. Flink griff er danach, doch ebenso rasch zog Prosperius seine Hand wieder zurück.
»Zuerst will ich wissen, ob das, was du mir zu berichten hast, den Hälbling auch wert ist«, meinte er.
Otwin schüttelte den Kopf. »Zuerst den Hälbling, sonst sage ich kein Wort.«
Bedauernd zuckte Prosperius mit den Schultern und machte Anstalten, die kleine Münze wieder in seinem Beutel verschwinden zu lassen. Wie erwartet, überlegte Otwin es sich anders.
Als Prosperius es sich geraume Zeit später auf dem harten Boden bequem zu machen versuchte, lag ein zufriedenes Lächeln auf seinem schmalen Gesicht. Ihm schien so, als wären die Unbilden, die er auf sich hatte nehmen müssen, um an diesen unwirtlichen Ort zu gelangen, nun doch nicht völlig vergebens gewesen.
KAPITEL 13
H eimlich wie ein Dieb war in der Nacht der Winter zu rückgekehrt, und als Garsende am frühen Morgen mit einem großen Beutel über der Schulter zum Kloster aufgebrochen war, hatte es angefangen zu schneien. Inzwischen lag der Schnee schon knöchelhoch, und es schneite noch immer.
Ein schlechtes Zeichen, dachte die Heilerin, während sie ihrer schweigsamen Begleiterin folgte, die sie durch den Kreuzgang in jenen Teil des Klosters führte, der nicht mehr der Klausur unterstand.
»Hier entlang«, sagte Schwester Walburga und wies auf ein Gebäude, das dem Kreuzgang gegenüberlag. Es waren die ersten Worte, die sie an die Heilerin richtete, seit sie das Sprachzimmer der Äbtissin verlassen hatten.
Garsende warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Sie war nicht ganz so groß wie die Heilerin, doch von kräftiger Gestalt. Der schwarze Schleier umrahmte ein breites Gesicht mit großen hellen Augen, einem energischen Kinn und vollen Lippen. Auch wenn es kein schönes Gesicht war, hätte es gefällig sein können, wäre der Ausdruck weniger verbissen gewesen. Die Äbtissin hatte Schwester Walburga als erste Infirmarin vorgestellt, deren Fürsorge das Hospiz anvertraut war. So auch Beatrix von Teveno, die von nun an unter der Obhut der Heilerin stehen würde.
Garsende seufzte. Es machte nicht den Eindruck, als wäre die Infirmarin glücklich darüber, auch nur diesen kleinen Teil ihrer Verantwortung aus den Händen zu geben.
»Zur Rechten werden unsere Gäste untergebracht; zur Linken ist das Hospiz«, unterbrach die Nonne ihre Gedanken, als sie den schmalen Durchlass erreichten, der das Gebäude in zwei Hälften teilte.
Garsende wandte sich der linken Pforte zu, doch Schwester Walburga schüttelte den Kopf. »Wir haben Beatrix von Teveno in eine Zelle des Gästehauses verbracht.«
»Das ist sehr großzügig«, sagte Garsende überrascht. Die vom Gemeinschaftsschlafraum abgesonderten Zellen eines Gästehauses waren in der Regel den Wohlhabenden unter den Gästen und Pilgern vorbehalten, die im Kloster Aufenthalt nahmen.
Schwester Walburga zuckte mit den Schultern. »So schien es für alle das Beste.«
Sie führte die Heilerin eine Holzstiege hinauf, die in einen Gang mündete. Auf der rechten Seite gab es nur eine Tür, die offenbar in den gemeinsamen Schlafsaal führte. Linker Hand befanden sich mehrere niedrige Pforten, hinter denen Garsende die separaten Gästezellen vermutete.
In der Mitte des Gangs blieb Schwester Walburga stehen. Mit einem Blick, der
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