Das zitternde Herz
füllten sich ihre Augen mit Tränen.
»Lassen Sie es mich so formulieren«, sagte Dorothy. »Entweder sind Sie die größte Schauspielerin seit Stummfilmzeiten, oder Sie befinden sich in extremen Nöten. Sagen Sie nichts, wenn Sie sich einfach nur ausweinen müssen, nicht daß ich dafür kein Verständnis hätte, aber am Ende würden Sie mich nur verabscheuen für eine –
wie ich annehme – ganz untypische Vertraulichkeit. Falls Sie aber aus einem bestimmten Grund hierher gekommen sind, warum reden wir dann nicht über die Sache?«
»Es geht um Ihren Bruder.«
»Ken? Sie meinen, Sie kennen ihn also doch? Erzählen Sie mir nicht, daß Sie in irgendeiner Form mit ihm zu tun haben, es sei denn, er erpreßt Sie oder er versucht, Sie zu nötigen, ihm irgendeinen Se-minarschein zu geben. Wenn nicht, müßte ich mich gründlich in Ihnen getäuscht haben. Sehr gründlich.«
Von draußen war Hupen zu hören. »Ah, die Carlisles kommen wegen ihres Bullterriers. Und nicht einen Augenblick zu früh, das kann ich Ihnen sagen. Dieser Hund hat das Wort Kauen erfunden!
Sie bleiben einfach hier und denken darüber nach, was Sie zu sagen haben und ob Sie es sagen wollen. Ich bin gleich zurück. «
Dorothy ging durch die Küchentür hinaus. Kate konnte Stimmen, die einander begrüßten, hören, dann einen Augenblick Stille, und dann menschliche Willkommensschreie. Kate ging zum Fenster und sah einen schwarzgefleckten Hund begeistert Luftsprünge vollführen, von dem Mann zu der Frau, die ihn abholen kamen, rennen und dann wieder zu Dorothy (ein bemerkenswerter Tribut, fand Kate), dann wieder zurück zu seinen Besitzern. Kate sah, wie Dorothy dem Mann etwas überreichte, was zweifellos eine Rechnung war, da der Mann seine Brieftasche zückte, einen Scheck herausnahm und ihn auf den Kühler seines Wagens gelehnt ausfüllte. Allseitiges Händeschütteln.
Als der Mann die vordere Tür seines Wagens öffnete, sprang der Bullterrier hinein und mußte wieder hinaus expediert und auf dem Rücksitz plaziert werden. Die Frau setzte sich neben ihn. Dorothy winkte, als der Wagen davonfuhr.
Ganz gewiß lerne ich etwas über die Welt der Hunde; Dinge, die ich noch vor ein paar Tagen nicht im Traum geglaubt hätte, dachte Kate. Das muß ich Reed erzählen. Und da kehrte – tief in ihr – die Panik zurück.
Dorothy kam wieder herein, hielt kurz inne, um den Scheck auf einem Schreibtisch in der großen Küche abzulegen. »Wie so viele Hundebesitzer stecken sie voller Schuldgefühle, wenn sie irgendwelche Unternehmungen machen, die den Hund ausschließen. Ich weiß nicht, welche ich mehr verfluchen soll, diejenigen, die sich Hunde anschaffen und sie dann einfach irgendwo parken, oder die, die ihre Hunde besser behandeln als die meisten Leute ihre Kinder. Aber wenigstens bringt mir das Geld ein, und die Hunde leiden nicht. Ich ertrage es nicht, Hunde leiden zu sehen. Apropos – lassen Sie uns die junge Dame rausbringen, jetzt wo sie von ihrem Schläfchen aufge-wacht ist. Bei Welpen folgt Pipi dem Schlaf auf dem Fuße. Denken Sie daran, zumindest solange Sie das kleine Ding haben.«
Kate trug Banny hinaus. Der Hund bestätigte Dorothys Worte sofort und kauerte sich hin. Kate dachte, wie schön es sein mußte, über eine bestimmte Sache – und seien es Hunde – alles zu wissen. Literatur gewährte irgendwie nie solche Gewißheit; Detektivarbeit noch weniger.
Plötzlich fiel Kate ein, daß Harriet ihr gesagt hatte, es sei gut möglich, daß man ihr überallhin folgte. War man ihr hierher gefolgt?
Sie hatte niemanden gesehen, aber wenn jemand beobachtet hatte, wie sie hierher gekommen war, dann würden Dorothys Mutter und Bruder sicher mißtrauisch werden, daß sie ausgerechnet diese Hundepension gewählt hatte. Wäre es nicht vielleicht das beste, diesen Besuch so weit wie möglich auf der reinen Hundeebene zu belassen?
Andererseits, überlegte Kate, wenn man ihr gefolgt war und sie wuß-
ten, daß sie Dorothy Hedge getroffen hatte, warum sollte sie nicht die Gelegenheit ergreifen und Dorothy auf ihre Seite bringen. Falls Dorothy heimlich mit ihrer Familie gemeinsame Sache machte, während sie vorgab, nichts mit ihr zu tun zu haben, dann wußte sie ohnehin, was vorging, und würde wohl kaum Kate brauchen, um infor-miert zu werden. Der einzige Fehler dieser Überlegungen war die Möglichkeit, daß Reeds Entführer mit Dorothys Familie nicht das Geringste zu tun hatten, ihre Familie von der Entführung also gar nichts wußte, und
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