Das zitternde Herz
sich, die Ursache solcher Sensibilitäten zu verstehen. Aber Juden kannte sie schon ihr ganzes Leben, und gewiß hatte man sie noch nie beschuldigt, welche belei-digt zu haben. Sie spürte Ärger in sich hochsteigen, als Nathan die Tür zu seinem Büro öffnete, hineinging und auf einen Stuhl deutete.
Kate setzte sich.
»Der Student, den ich erwähnte, sagte, Sie seien farbigen Studenten gegenüber die Geduld in Person, aber ihm gegenüber wären Sie grob gewesen.«
»Dürfte ich seinen Namen wissen, oder wollen Sie, daß ich mich zu anonymen Beschuldigungen äußere?«
»Er heißt Krasner. Saul Krasner.«
» Ah, ja«, sagte Kate. »Ich kenne ihn.«
»Und, wie ich wohl annehmen darf, mögen ihn nicht.«
»Na ja, er scheint sich für das Geschenk Gottes an die Welt zu halten. Kann sein, daß ich ungeduldig mit ihm war. Muß das etwas damit zu tun haben, daß er jüdisch ist? Ich gebe zu, daß ich Arroganz bei Studenten nicht mag, insbesondere wenn sie mit Ignoranz ein-hergeht. Von der Tatsache, daß er zu glauben scheint, Frauen – wie soll ich es ausdrücken – dürften nicht in einer Position sein, wo sie Autorität über ihn haben, will ich gar nicht reden. Vielleicht stimmen Sie ja mit dieser Empfindung überein.« Das war nicht direkt eine Frage, und Professor Rosen ließ sie unbeantwortet.
»Ich sprach nicht über Frauen«, sagte er. »Ich sprach über Schwarze. Laut Mr. Krasner haben Sie irgendeinem Schwarzen, der irgend etwas erläuterte, endlos zugehört, während Sie für ihn keine Zeit hatten.«
»Mr. Krasner hat die Neigung, anderen Studenten ins Wort zu fallen, und mir auch; Höflichkeit gehört nicht zu seinen hervorste-chenden Eigenschaften. Aber es tut mir leid, wenn ich seine Gefühle verletzt habe, und natürlich würde ich das gern mit ihm besprechen.
«
»Die eigentliche Frage, Kate, ist doch, warum sind Sie, wie so viele andere, Schwarzen gegenüber geduldig und Juden sowie anderen Weißen gegenüber ungeduldig?«
»Vielleicht muß ich mich schuldig bekennen, Geduld mit jenen zu haben, die mit einer ihnen fremden Literatur an einem fremden Ort umgehen, und die den Vorzug haben, uns anderen, den Studenten und mir, einen anderen Blickwinkel zu eröffnen, unter dem wir die Werke, mit denen wir uns beschäftigen, betrachten können.«
»Sie plädieren also für Multikulturalismus.«
»Nathan, ich will mich mit Ihnen nicht um Begriffe streiten. Wie ich schon sagte, bin ich gerne bereit, mit Mr. Krasner über jede denkbare Kränkung, die ich ihm womöglich zugefügt habe, zu sprechen. «
»Sagen Sie mir doch, wie Sie zu orthodoxen Juden stehen.«
»Ich wüßte nicht, warum ich diese Frage beantworten sollte, aber wenn ich unterstelle, daß Sie die Frage ernst nehmen – ich persönlich bewundere keinerlei fundamentalistische Religion. Jeder Krieg, der ausgetragen wurde – jedenfalls jeder Krieg heutzutage –, hat mit Religion zu tun. Als Frau mag ich die Art nicht, wie Frauen in fundamentalistischen Religionen, welcher auch immer, gesehen werden.
Auch – «
»Darf ich Sie etwas fragen?« Nathan unterbrach ihre Antwort auf seine Frage, beugte sich nach vorn und richtete einen Finger auf sie.
»Sie sitzen in der U-Bahn, keine Rush hour. Eine Gruppe halbwüch-siger Schwarzer steigt ein, sie reden laut und höhnisch. An der nächsten Haltestelle steigt eine Gruppe von Jeschiva-Studenten mit Kippas und Pajes ein. Vor welcher Gruppe haben Sie Angst?«
»Gute Frage«, sagte Kate und fragte sich, wie oft er sie wohl schon gestellt hatte. »Meine Antwort lautet, meinen Sie unmittelbar oder auf lange Sicht?«
»Was soll das heißen?«
»Es soll heißen, daß in dem akuten Moment die Gruppe der schwarzen Männer mich mit größerer Wahrscheinlichkeit ängstigt oder gar belästigt. A la longue aber fürchte ich die Jungs von der Jeschiva mehr. «
»Sie machen Witze! « Und in der Tat sah Nathan erstaunt aus.
»Die jungen Schwarzen werden alle ihren eigenen Weg gehen.
Vielleicht erreichen sie, wenn wir ihnen und ihren Familien als eines der reichsten Länder der Welt eine gewisse Unterstützung gewähren, sogar irgendwas Interessantes. Was, weiß ich wirklich nicht. «
»Ich schon«, warf Nathan ein.
»Aber«, fuhr Kate, ihn ignorierend, fort, »ich weiß ganz genau, was die Jungs von der Jeschiva für den Rest ihres Lebens denken werden, und vielleicht für den Rest des Lebens ihrer Kinder, und das ist keine Philosophie, die ich als Frau und als Linke in irgendeinem Sinne beruhigend
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