Das zitternde Herz
ist. Ich weiß, daß du überzeugt davon bist, daß es einer deiner männlichen Kollegen ist, den der Wandel der Zeit zum Wahnsinn getrieben hat, aber ich habe etwas anderes im Kopf. Willst du es hören?«
Kate nickte. »Deshalb bin ich unter anderem hier«, sagte sie.
Leslie war umhergegangen und hatte, während sie sprach, aus verschiedenen Winkeln auf die Leinwand gestarrt, aber jetzt hörte sie damit auf und setzte sich Kate gegenüber auf einen Stuhl.
»Ich glaube, du bist völlig auf dem Holzweg«, sagte Leslie.
»Wieso?«
»Für mich schmeckt das Ganze nach einer neidischen Frau, die dich seit langem kennt oder zumindest schon lange von dir weiß und die mit Blick auf ihr selbstverschuldetes Scheitern oder ihren Mangel an Erfolg wütend über deinen ist. «
»Wie kommst du darauf?« fragte Kate.
»Persönliche Erfahrung, meine Liebe – Leiden und Aufruhr und der Erkenntnisgewinn aus einem einsamen Leben.«
Kate starrte ihre Freundin an. Leslies Leben war nicht eines, von dem Kate angenommen hätte, daß es einsam war. Sie hatte sich jung verheiratet und war es jahrelang geblieben; sie hatte Kinder bekommen, hatte gemalt, wenn sie konnte – was letzthin meistens war –, und sie hatte in Jane eine Partnerin gefunden, die ihr sowohl Frei-raum gab als auch Gefährtin war. Wie wenig wir doch voneinander wissen, dachte Kate, und sie ist meine beste Freundin.
»Oh, nicht wenn man es von außen betrachtet«, sagte Leslie und bezog sich damit auf ihr einsames Leben. »Von außen betrachtet war es alles andere als einsam. Weißt du, ich habe nie allein gelebt. Ich bin sogar direkt aus meiner Ehe in das Leben mit Jane gegangen.
Aber die Einsamkeit endete in dem Moment, als ich aus meiner Ehe ausstieg. «
»Und wie hast du aus dieser Erfahrung Einsicht in Reeds Entfüh-rungsfall gewonnen?« fragte Kate. »Es scheint keinen Zusammenhang zu geben, jedenfalls nicht auf den ersten Blick.«
»Na ja, der Zusammenhang ist nicht so abwegig, wie du denkst.
Ich gehöre zu denen, die ihr Leben lang nach Freundschaft und etwas Erfolg in ihrem erwählten Beruf gestrebt haben. Nehmen wir an, ich schaue dich an, und siehe da, du hast eine gute Beziehung und du bist gut in deinem Beruf, und ich habe weder Jane noch sonst jemanden, und anstatt zu malen, müßte ich mir einen Job als Glück-wunschkartenmalerin besorgen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Verstehst du, was ich meine?«
»Na ja«, sagte Kate, »nicht genau. Ich ahne es wohl, aber genau weiß ich nicht, was du meinst. «
»Okay, vergessen wir die Kunst, das ist nicht dein Ressort. Nehmen wir Schreiben und Lehren, das heißt, wie es ist, ein Professor an einer renommierten Universität zu sein und erfolgreiche Bücher zu publizieren.«
»Ich habe gewisse Zweifel hinsichtlich der verschiedenen Adjek-tive«, sagte Kate, »aber ich folge dir. Weiter.«
»Schau, neunzig Prozent aller Kritiken oder Besprechungen oder wie immer du es nennen willst, setzen sich, wie du sehr genau weißt, weitgehend aus Neid, Bosheit und der Verteidigung der eigenen eingefahrenen Meinungen zusammen. Aber ob man dich nun lobt oder angreift, man nimmt dich ernst. Kannst du mir folgen?«
»Kann ich.«
»Gut. Stellen wir uns jetzt eine Frau vor, so ähnlich wie ich, keine richtigen Freunde – was ihr eigener Fehler sein mag oder auch nicht – egal, richtige Einsamkeit, kein besonderer Erfolg im Beruf, der, das weiß ich, in deiner Vorstellung ein akademischer ist, aber nimm mal an, er ist es nicht. Nimm an, sie hat die akademische Hür-de nicht geschafft oder sie hat nur nebenbei Schreibkurse gegeben –
wie immer, ich erfinde das alles. Der Punkt ist, daß sie sich jetzt ihren Lebensunterhalt so gut es geht verdient, indem sie etwas tut, was sie nicht wirklich schätzt und wofür sie sich selbst nicht wirklich schätzt.«
»Zum Beispiel was?«
»Zum Kuckuck, wie soll ich das wissen? Das sollst du herausfinden. Betrachte deine Vergangenheit. Vielleicht kannte sie dich. Nein
– wenn du das Objekt ihres Racheplans, ihres Hasses, bist, dann muß sie dich irgendwann gekannt haben. Was ich dir vorschlage, Kate, ist, die Rechtsextremen und deine Kollegen bei dem Ganzen erst mal zu vergessen und nach jemandem zu suchen, der durchaus rechts sein mag, vielleicht auch der rechten Bewegung angehört, aber dessen Impuls ganz persönlich ist und deshalb auch eine persönliche Stoßrichtung hatte.«
»Woher wissen wir, daß er nicht gegen Reed gerichtet ist? Er war derjenige, der
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