Das zitternde Herz
Auden zitiert hatte: »Alles menschliche Tun ist das eines Amateurdetektivs/Der fragt, wer war es?« Immer wenn Kate Auden zitierte, machte Reed sich Sorgen.
Sie hatten Dorothy Hedge am Abend vorher angerufen, und sie hatte sich bereit erklärt, Marjorie zu fragen, ob sie den Hund auslei-hen könne. Auch sie war skeptisch und hatte sogar versucht, sie von dem Besuch abzubringen, willigte aber angesichts ihrer Beharrlich-keit schließlich ein, die Entscheidung wenigstens Marjorie zu überlassen. Spät abends hatte sie dann angerufen und gesagt, daß sie und Banny sie am nächsten Tag erwarten würden.
Kate und Reed waren schon fast aus der Wohnung, als das Telephon klingelte. Kate zögerte kurz, dann rannte sie zurück. Harriets Stimme schien so dicht vor dem Wahnsinn, wie Kate sie noch nie gehört hatte.
»Es geht um Toni.« Harriet schien nur mit Mühe Luft zu bekommen. »Jemand hat versucht, sie umzubringen. «
»Wo bist du?« fragte Kate.
»Im Krankenhaus. Ich fand sie im Büro am Boden liegen. Ich dachte, sie wäre tot, nur daß sie noch blutete. Tote bluten nicht – hat das nicht mal jemand gesagt? Ich weiß nicht mal, ob es stimmt.«
»Harnet«, unterbrach Kate. »Sag mir genau, wo ihr seid. Wir kommen.«
»Roosevelt Hospital; in der Notaufnahme. Es ist – ich glaube, Ninth Avenue.«
»Ich weiß, wo es ist. Wir sind gleich da, Reed und ich. Es dauert nicht lang. «
Kate hängte ein. »Jemand hat versucht, Toni umzubringen. Harriet ist im Krankenhaus. Ich sagte, wir würden kommen. «
»Wird sie durchkommen?«
»O Gott, das habe ich nicht gefragt. Harriet sagte, sie habe noch geblutet, als sie sie fand. Bei ihnen im Büro.«
Das Krankenhaus war nicht weit. Reed sprach kurz mit dem Ta-xifahrer, der sie daraufhin mit bemerkenswerter und nicht ungefährlicher Geschwindigkeit zum Eingang der Notaufnahme brachte. Kate sprang aus dem Taxi und ließ Reed zurück, damit er bezahlte, wobei es nur darum zu gehen schien, dem Fahrer hastig ein paar Scheine in die Hand zu drücken. Genau wie im Film, dachte Kate und fragte sich, ob sie wohl dabei sei, den Verstand zu verlieren, daß sie so was in einem derartigen Moment dachte. Sie fanden Harriet inmitten einer Ansammlung von Wartenden.
»Gott sei Dank, daß ihr gekommen seid. Sie haben sie mitgenommen, um ein EEG zu machen. Ich habe die Polizei verständigt, und vielleicht hat man sich deshalb hier schneller um sie gekümmert, vielleicht kam auch der Krankenwagen schneller. Ich weiß nicht.
Jemand hat ihr mit aller Kraft auf den Hinterkopf geschlagen. Sie stirbt vielleicht. Die Ärzte waren nicht sehr zuversichtlich.«
Reed erspähte einen freien Stuhl. »Setz dich«, sagte er. »Sag ihr, sie soll sich hinsetzen« – dies zu Kate. Sie drängten Harriet auf den Stuhl.
»Sie sollte Tee mit sehr viel Zucker trinken«, sagte Kate. »So machen es die Engländer.«
»Ich brauche nichts; ich habe schon etwas getrunken«, sagte Harriet.
»Dann erzähl.« Reed ging in die Hocke, so daß sein Gesicht mit ihrem auf einer Höhe war. Kate beugte sich über Harriets Stuhl und nahm ihre Hand. Zum ersten Mal, seit sie Harriet kannte, registrierte sie, wie alt ihre Freundin war. Kate hatte immer gewußt, daß sie in den Sechzigern war – oder inzwischen sogar darüber –, aber noch nie hatte Harriet alt, erschöpft und zerbrechlich ausgesehen.
»Erzähl uns, was passiert ist«, sagte Kate und hielt Harriets Hand. »Von Anfang an. Und der Reihe nach.«
Harriet seufzte, eigentlich war es eher ein Schnappen nach Luft, als hätte sie die Luft angehalten und brauchte Sauerstoff. Sie schien nach einem Taschentuch zu suchen, und Reed gab ihr seines. Sie wischte sich die Augen und hielt sich das Taschentuch vor den Mund, während sie sprach.
»Ich war zur Bank gegangen«, sagte Harriet. »Wir hatten den Vormittag damit zugebracht, über unseren Neueinstieg in den Fall zu beraten. Eigentlich«, setzte sie hinzu, als habe sie eben erst selbst daran gedacht, »wirkte Toni, als sei sie mit ihren Gedanken woanders. Wir brauchten Bargeld, und sie drängte mich, zur Bank zu gehen – ihr wißt schon, zum Geldautomaten. Es ist nicht weit, aber um die Mittagszeit steht natürlich immer eine Schlange davor. Als ich ging, hörte ich, wie Toni anfing, herumzutelephonieren und, glaube ich, Verabredungen zu treffen. Ich habe nicht wirklich zugehört. Vor dem Geldautomaten war eine lange Schlange, und als ich zurückkam und die Tür zum Büro öffnete, lag sie da. Ich dachte, sie blutet
Weitere Kostenlose Bücher