Das zitternde Herz
wir Kate zwecks gründlicherer Vergan-genheitserforschung in die Psychoanalyse schicken müssen.« Er lächelte Kate an, die, wie er wußte, von klassischer Psychoanalyse ebenso wenig hielt wie er selbst.
»Also«, hielt Leslie fest, »die Frage: Wer ist Muriel, wie ist sie?
bleibt handlungsweisend.«
»Vielleicht weiß William, was aus ihr geworden ist«, schlug Jane vor. »Man weiß doch oft etwas über seine verflossenen Lieben, zumindest in einem irgendwie allgemeinen Sinn.«
»Ist unwahrscheinlich«, sagte Kate. »William ist mit den Jahren kein bißchen weniger muffig geworden. Er hat erwachsene Kinder und arbeitet an der Wall Street. Womöglich erinnert er sich nicht mal mehr, wer Muriel war. Ich meine, sehen wir der Sache doch ins Au-ge, wenn ich diese Geschichte schon verdrängt hatte, dann hat William sie womöglich völlig aus seinem Gedächtnis gestrichen.«
»Du hast dich erinnert«, sagte Leslie, »weil für dich ziemliche Schuldgefühle damit verbunden sind. Ich bezweifle, daß das auch auf William zutrifft, obwohl ich wie Jane finde, daß du ihn fragen solltest, nur für den Fall, daß er irgend etwas von ihr weiß. Ich meine, falls sie seit Jahrzehnten tot ist, dann graben wir natürlich am falschen Ende. Der springende Punkt aber ist, soweit ich sehe – «
und damit legte Leslie entschieden ihre Stäbchen ab –, »ob Muriel wußte oder ahnte oder vermutete, daß Kate hinter ihrem Fiasko mit den Fanslers steckte. Weißt du denn, ob Muriel dir die Schuld gab, oder tut sie das möglicherweise gar nicht und kommt also hinsichtlich der gegenwärtigen Umstände auch gar nicht in Betracht?«
»Gute Frage«, sagte Kate. »Aber ich bin mir wirklich sicher, sie wußte, daß ich dahintersteckte; ich erinnere mich jetzt sogar, daß sie es mir gesagt hat. Das ganze Debakel war noch in vollem Gange, als Moon und ich abfuhren. Sie kam zu uns herüber, als wir gerade in den Wagen steigen wollten. Moon schenkte sie gar keine Beachtung, und immerhin war es seine Kommune, der William angeblich beitreten wollte. Sie stand einfach da, sah mich an und sagte: ›Ich vermute, du bist zufrieden mit dir, du miese Hexe‹, oder so ähnlich. Und sie spuckte mich an und stolzierte davon. Ich erinnere mich jetzt. Moon zog sein T- Shirt raus und wischte mir ihre Spucke aus dem Gesicht.
Das hatte ich ganz vergessen.«
Absolute Stille war dieser Erinnerung beschieden. Kate sah mitgenommen aus.
»Ich denke nach wie vor, daß Kate sich mit William über Muriel unterhalten sollte«, sagte Leslie in das Schweigen hinein. Und Kate stimmte ihr zu.
Sie begannen die Essenskartons zusammenzuräumen. Man schien sich einig, ohne daß es jemand aussprach, daß weitere Fragen zu Muriel – wer sie war, was sie war – auf morgen verschoben werden würden.
Als Kate jedoch ihren Bruder William dazu verführt hatte, mit ihr am nächsten Tag etwas trinken zu gehen, stellte sich heraus, daß er keine Ahnung hatte, was aus Muriel geworden war. William war nicht ganz wohl gewesen beim Gedanken, Kate zu treffen, weil er annahm, wie es ihre Brüder immer taten, wenn Kate sie treffen wollte, daß sie entweder um Geld oder, was sie sogar fast noch mehr beunruhigte, um Finanzberatung bitten würde. Wenn sich dann herausstellte, daß ihr Anliegen nichts mit Geld zu tun hatte, war ihre Erleichterung immer so groß, daß sie ziemlich bereitwillig mit ihr besprachen, was immer sie auf dem Herzen hatte. (Obwohl sie es weder wußte noch ahnte, stimmten ihre Brüder ihr insgeheim bei, daß ihre eigensinnige Schwester nicht die Tochter ihres Vaters war, sondern das Wechselbalg irgendeines verspäteten und ziemlich un-typischen Seitensprungs ihrer Mutter. Die sexuellen Gepflogenheiten der Neunziger ließen einen solchen Gedanken über die eigene Mutter eher romantisch als ungehörig erscheinen.) Aber über Muriel wußte William nichts.
Tatsächlich erinnerte er sich der Angelegenheit eher vage und widerstrebend. »Du hättest mich einfach überreden sollen, ihr zu sagen, sie soll zum Teufel gehen«, sagte er jetzt. Kate beherrschte sich sehr, diese bemerkenswerte Äußerung nicht zu kommentieren.
»Du hast wirklich keine Ahnung, was aus ihr geworden ist?«
fragte sie noch einmal.
»Nein. Sie hat mir eine Einladung zu ihrer Hochzeit geschickt.
Daran erinnere ich mich. Natürlich habe ich sie weggeworfen, bevor Patricia mich fragen konnte, wer sie war.« Patricia war Williams Frau. »Es ist jedenfalls Jahre her. Warum in aller Welt willst du etwas
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