Das zweite Gesicht
einen Blick zu, der sie schaudern ließ. Bevor sie jedoch reagieren konnte, quoll ein ganzer Pulk aus Männern und Frauen durch den Eingang und versperrte ihr die Sicht zum Of e n. Plötzlich war die g a n ze Kasche mm e voller M enschen, L ä rm er f üllte die Luft.
Einige eilten gleich zur Theke, andere blieben m itten im Raum steh e n. Ein M a nn m it entset z lich e n Narben im Gesicht setzte s i ch an den Nebentisch, blickte aber nicht zu ihr herü b er. Er s ah aus, als wäre er in ein Feuer geraten, seine Gesichtshaut sah strähnig aus, als hätte sie Fäden gezogen.
Das reicht, dachte sie erschrocken. Nichts wie weg hier. Aus dem Gewühl lösten sich zwei Männer und kamen auf sie zu. Sie nahmen sich nicht die Zeit, sie anzusprechen – stattdessen packten sie Chiara blitzschnell an den Armen, rissen sie vom Stuhl hoch und zerrten sie durch die Menge zum Tisch der Alten hinüber. Chiara beschimpfte die beiden, rief schließlich um Hilfe, doch niemand nahm Notiz von ihr. Szenen wie diese spielten sich hier vermutlich mehrfach am Tag ab.
» W er bist du ? «, fragte die Frau hinter dem Tisch.
»Ich wüsste nicht, was S i e das …« Einer der Männer verpas s t e ihr ei n e schallen d e Ohrfeige. Der Sch m erz durchfuhr sie von Kopf bis Fuß.
Die Alte lächelte und tätsc h elte dem kleinen Mädchen die Hand. Das Kind sah durch C hiara und die anderen hindurch, als stünde es unter Drogen. »Also ? «, fragte die Alte an C hiara gewandt. » W er hat dich geschickt? Polente ? «
Chiaras W ange brannte, und i h re Furcht drohte jeden Mo m ent zu Panik zu wer d en. Aber ihr blieb keine Gelegenheit zu einer Antwort, denn im selben Mo m ent wurde der Mann, der sie geschlagen hatte, heru m gerissen und bekam eine Faust ins Gesicht. Seine Lippen platzten, und von einem Herzschlag zum nächsten war überall Blut. Der zweite Mann ließ sie los und wirbelte zu d e m Angreifer heru m : Es war der Mann m it den Brandnarben.
»Haun Sie ab!«, brüllte er, während er einem Schlag auswich und dem zweiten Kerl die Faust in den Magen
stieß. Aber jetzt waren da noch andere, und sie ka m en von allen Seiten. Chiara wollte der Anweisung folgen, doch im selben Mo m ent ließ die Alte ein Donnerwetter los, sprang auf und versuchte über den Tisch hinweg nach Chiaras A r m zu greifen. Dabei stieß s i e grob das Kind beiseite; das Mädchen stürzte zu Boden und schlug m it d e n Kopf an den Ofen. Chiara drehte sich wütend zu der Alten u m , schlug ihre A r m e beiseite und riss m it beiden Händen die Met a llkiste vom Tisch. Sie war schwerer, als sie erwartet hatte; Münzen kli m perten im Inneren. Das Geschrei der dicken Frau wurde noch lauter, denn nun fürchtete sie um ihr Geld.
Aber Chiara hatte n i cht die Absic h t, sie zu bera u ben. Sie hob die Kiste hoch und schleuderte sie der Alten m it aller Kraft entgegen. Sie traf s i e an Schulter und Kopf, eine scharfe Kante riss ihr di e sch w am m i ge W ange auf. Chiara wartete nic h t ab, was weiter geschah, tauchte unter zwei zupackenden Männerhänden hinweg und schoss an je m and e m vorbei, der sich ihr in den W eg stellen wollte. Dann stieß und re m pelte sie sich durch das Gedränge und gelangte irgendwie zur Tür. J e m and hatte die Kneipe kurz vor ihr verlassen, eine schl a nke Gestalt in einem langen Mantel, und Chiara bekam die Klinke zu fassen, bevor die Tür wieder zufallen k o nnte. Sie stolperte auf die Stra ß e und lief nach links, in die Richtung, aus der sie gekommen war. Auf der anderen Straßen s e i te stieß je m and in eine Trillerp f ei fe , doch als s i e sich erleichtert u m wandte, sah sie kei n en Poli z isten, s o ndern einen sch m utzigen Kerl, der m it dem Finger auf sie z eigte. Chi ar a wirbelte h erum und rannte los.
Sie kam keine drei Häuser weit, ehe hinter ihr Geschrei laut wurde und ein ganzes Leiberknäuel aus der Kneipe auf die Straße schwappte. Männer schauten sich um wie hungrige Tiere und nah m en W itt e rung auf. Liefen los,
hinter ihr her. Hinter ihnen tauchte die Alte auf, fast zu fett für die Tür und m it so viel Blut im Gesicht, als k ä m e sie aus einem Schlachthaus. Sie kreischte und brüllte Befehle, und dann schien es Chiara, als wäre ihr das ganze Scheunenviertel auf den Fersen. Der Mann m it den Brandnarben hatte sie zwar gerettet, war aber selbst ver m utlich von der schieren Über m acht seiner Gegner überrannt worden. Sie zweifelte jetzt nicht m ehr, dass er es gewesen war,
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