Das zweite Gesicht
zu stellen, denn nun m eldete sich die Frau zu W ort, die d en vierten L i ege s tuhl auf dem Kiesdach belegte. » J ula kannte das S piel, sicher, aber hö h er als s echs k o nnte a u ch si e nic h t wür f eln, n i cht wahr ? «
Sie war älter als die übrigen, um die vierzig, und sie war die Einzige, die Chiara n i cht auf Anhieb erkannt hatte. Lea Panther, die nic h t wir k lich so h i eß, aber n i e m andem ihren wahren Na m en verriet, war kurz nach der Jahrhundertwende eine der beliebtesten Varieté- Tänzerinnen Berlins gewesen. Mit Talent und einer großen Portion Glück hatte sie den Wechsel zum Theat e r geschafft, bevor m an ihrer Beine und Brüste überdrüssig werden konnte. Als sie das Käthchen von Heilbro n n spielte – und nicht m al sch l echt –, war das ein kleiner Skandal gewesen. Aber sie hatte alle üblen Nachreden heil überstanden und wechselte jetzt z w ischen Rollen auf der Bühne und im Fil m , letztere weit weniger glamourös als ihre The a terau f t r itte, weil m an sie f ür zu alt f ür Hauptrollen hielt und sie regel m äßig als Zuhälterin oder Lebeda m e beset z te. Da b ei h ä tte bei d es i h rem tat s ächlichen Lebenswandel nicht ferner lie g en können. Ihre wilde Zeit, hatte sie C hiara erzählt, h a tte sie vor fünfzehn Jahren hinter sich gebracht. Heute lebte sie streng m onogam mit ihrem Mann, einem W e inhändler, und nahm s i ch im m er seltener die Zeit zu Verab r edungen wie dieser. Lea gab offen zu, d a ss sie nur gekom m en w a r, um Julas Schwester kennen zu lernen. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie Maria für ein dum m e s Huhn hielt, und selbst ihre Beziehung zu Ursi schien Chiara undurchsichtig. Erst hatte sie geglaubt, beide verbinde eine lesbische Liebschaft, aber nach L eas überzeugendem Plädoyer für Ehe und Treue hatte sie diesen Gedanken wieder verworfen. Vielleicht war es wirklich nur eine A r t mütterliche Freundschaft zu der viel jüngeren Ursi. Falls dem so war, hatte s i e m it ihren R atsc h lägen all e rdings wenig Erfolg: Ursis Liebesleben war Legende, und ihre neueste Eroberung, der Produzent Arthur Her m ann, war nicht gerade das, was m an in bürgerlichen Kreisen einen guten Griff nannte.
Chiara hatte Henriette H egenbarths Rat befolgt und sich m it Ursi verabredet. Nach a n fänglichem Zögern hatte Ursi offenbar beschlossen, Chiara zu mögen, ja, sie sogar als Ersatz für Jula zu akzeptieren. Ursi war keineswegs ein ko m plizierter Charakter, und hatte sie ein m al Gefallen an je m and e m gefunden, war es schwer, sie loszuwerden. Männer durchschauten das schnell und zogen ihren Vorte i l daraus, be m erkten allerdings oft nicht, dass Ursi sie gleichfalls n ach Strich u nd Faden ausnutzte.
Trotz a llem m usste Chiara sich eingestehen, dass sie Ursi m ochte. Sowohl ihr burschikoser Char m e, d e m gerüchtehalber Fra u en ebe n so wie Männer verf i e l en, a l s auch ihre A rt, geradeheraus zu sagen, was sie m einte – beides gefiel Chiara.
» W ann geht’s weiter in Maskens Mühle ? «, fragte Ursi.
»Über m org e n«, sagte Chiara. » I ch hab drei Tage Pause.«
» W ie viele Tage hast du schon gedreht ? « Maria stellte die Frage m it einer Beiläu fi gkeit, die keinen Hehl aus ihrem Neid auf die Ha u ptrolle im Untergang des Hauses Usher m achte.
»Acht.« Chiara tat, als hätte sie den Unterton nicht be m erkt.
»Noch fünf, dann bin ich fertig.«
»Das ist zie m lich viel für die paar A uftritte«, sagte Ursi.
»Du hast das Drehbuch gelesen?«
»Jula hat’s m i r d a m als gegeben. Wir haben oft Bücher ausgetauscht und uns gegenseitig da m it aufgezogen, wer wohl das knappere Kostüm tragen würde.« Nach einem Mo m ent fügte sie hinzu. » N a ja, die gute Lady … wie heißt sie noch, Magdalena ? «
»Madeline.«
»Die gute Lady Madeline kom m t jedenfalls nicht in Verlegenheit, sich halbnac k t auf irgendwelchen Thronstufen ru m zuräkeln.«
Chiara lächelte. »Aber ihr T o tenhe m d hat Stil, wirklich.«
»Darauf wette ich.«
Es gefiel C hiara nicht, dass Maria zuhörte, trotzdem stellte sie endlich die F r age, die sie ursprünglich hergeführt hatte.
»Sag m al, du und Jula, ihr habt euch doch zie m lich nahe gestanden, oder ? «
Ursi nickte. »Sicher.«
» W eißt du, ob sie je m als … na ja, ob sie m al schwanger war ? «
Maria verschluckte sich fast am Rest ihres giftgrünen Cocktails, aber Ursi blieb ganz ernst. »Dazu war sie vi e l zu clever.«
»Das heißt nein, neh m e ich
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