Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Masken trat zwischen die beiden, schob Chiara sehr sanft, aber bes t im m t zurück und fuhr dann Her m ann an:
    »Halt den Mund, Arthur! Misch dich nicht in Dinge, die dich nichts angehen.«
    Her m ann hielt seinem Blick einen Mo m ent lang stand, dann trollte er sich plötzli c h wie ein geschlagener Hund, fast als verberge sich eine tiefere Drohung hinter Maskens Worten.
    »Schon gut. Tut m i r Leid, Chiara. W i r haben alle ein bisschen zu viel getrunken.«
    Ursi stieß ein gekünsteltes Lachen aus. »Zu viel? Du vielleicht, m ein Schatz. Ich jeden f alls nicht.« Und da m it angelte sie sich vom Tablett eines vorbeikom m enden Kellners ein Glas und ein weiteres, das sie Chiara reichte. Die wollte erst able h nen, dachte aber dann, dass es vielleicht helfen würde, ihren Ärger hinunterzuspülen.
    Die Party ging weit e r, m it w echselnden Gesprächs- u n d Tanzpartnern. Verschiedene Fil m leute sprachen sie an, m anche unterbreiteten Rollenange b ote. Chia r a f ühlte sich gesch m eichelt und bat, alle An f ragen schri f tlich ins Hot e l zu schicken. Sie war m ü de, sie war aufgeregt, u nd ihr w a r  übel.
    »Mir ist schwindelig«, sagte sie zu Ursi, als die irgendwann wieder neben ihr s t an d . Ursi griff kicher n d nach ihrer Hand und führte s i e zu Her m ann, Masken, Lea und ein paar anderen, die an einem der großen Fenster standen. Draußen flirrten die Lampen von Auto m obilen über den Boulevard, trübe A ugenpaare in der Nacht.
    »Hast du’s dir überlegt ? «, fragte Her m ann.
    » W as denn?«
    Ursi schob ihn beiseite. »Er meint die Sache mit Jula.« Chiara hatte Mühe, sich zu erinnern. Gesichter verschwammen vor ihren Augen, schoben sich übereinander, bis sie einem bizarren Mischwesen aus Masken und Hermann und Ursi gegenüberstand. »Wer sagt, dass ich mir irgendwas überlegen wollte?«
    »Du selbst«, behauptete Hermann.
    »Ach ja ? «
    Ursi schoss einen düsteren Blick auf ihren Liebhaber ab, sagte a b er nichts.
    Chiara bli nz elte, sah U r si jet z t wi e der schär f e r . »Kann m an dabei sitzen ? «
    »Aber sicher«, sagte Her m ann.
    » W arum kann m an eigentlich hier nirgends sitzen? Ich will jetzt sitzen.«
    »Kannst du. Komm m it.«
    Sie wollte so ausse h en, als ob sie übe r l e gte. Ein Kinderspiel. Sie war schließlich S chauspielerin. »Gut«, sagte sie kichernd.
    Und dann schwebte sie m it den anderen aus dem Saal, die Treppen hinunter – ohne den Boden zu berühren, darauf hätte sie wetten können – und in Her m anns  Auto m obil.
    » W ohin fahren wir ? «, fragte sie irgendwann, als sie noch im m er unterwegs waren.
    »Zu m i r«, sagte Ursi und blickte dabei aus dem Fenster.
     
     
    *
     
     
    Sie fühlte sich wieder ein wenig klarer, als sie endlich in einem Kreis beieinander saßen: Ursi und Arthur Her m ann; Masken und irgendein Mädchen, das sie noch nie gesehen hatte; Lea, jetzt ohne ihren Mann; ein junger Kerl, ein Schauspieler, sagte irgendwer (aber waren sie das nicht alle?), und seine rothaarige F reundin, die – ja, genau! – Schauspielerin war; zwei Blondinen, die alles Mögliche sein m ochten und sicher nicht schlecht da m it verdienten; und natürlich Chiara selbst.
    Ursi hatte alle Lichter in der W ohnung gelöscht, nur in diesem Z i m m er brannten ein paar Kerzen – aus weißem Wachs, nicht aus sc hw arze m , wie Chiara belusti g t feststellte. Sie befanden sich in Ursis Salon, einem quadratischen Raum m it hohen W änden, schweren Brokatvorhängen und mehreren Sofas, einige derart unter Kissenbergen begraben, dass sich ihre Form nicht m ehr erkennen ließ. Zwischen den b e iden Fenstern stand Ursis Flügel – den Nachweis, dass sie darauf spielen konnte, war sie Chiara bislang schuldig geblieben. Jula war eine passable Klavierspielerin gew e sen, so wie Chiara selbst; ihr Vater hatte es ihnen beigebracht. Chiara konnte sich vage erinnern, dass ihre Mutter oft gesungen hatte, während ihr Vater spielte.
    In der Mitte des Salons stand ein niedriger, runder Tisch, dessen Rand m it orientalischen Schnitzereien verziert war, eckigen Figuren in den unterschiedlichen Stadien der  Kopulation. Chiara hatte s i e bislang a m üsant gefunden, doch jetzt, im Halbdunkel und unter den stechenden Blicken der Männer, erschienen s i e ihr zum ersten Mal obszön.
    An den W änden hingen Ölge m ä lde, Portr a its v on alten Männern und Frauen, die Ursi gern als adelige Vorfahren ausgab. Chiara nahm an, dass sie die Bilder in W ahrheit bei irgendeinem

Weitere Kostenlose Bücher