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Das zweite Imperium der Menschheit

Das zweite Imperium der Menschheit

Titel: Das zweite Imperium der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Teppiche und Kissen, kochten und tauschten
den Ertrag ihres Haushalts. Bauern erhielten Wildbret für Korn oder Knollenfrüchte.
Gegen Leder wurden Stiefel, Wasserflaschen oder Wildlederkleidung getauscht.
Die Naturalienwirtschaft stand in voller Blüte.
    Es schien, als ob jede düstere Prophezeiung Unsinn gewesen wäre. Jedenfalls
lockerte sich die Spannung, die ständige Furcht, von irgendetwas innerhalb
der unbekannten Natur überwältigt zu werden.
     
    Aldo arbeitete mit Winnie an dem letzten Projekt, einem wassergetriebenen Generator,
der die Siedlung mit Strom versorgen sollte. Die Glasbläser hatten versichert,
dass sie Glühbirnen erzeugen könnten, wenn welche benötigt würden.
    Aldo hatte die Pläne, Werkzeuge und die Verantwortung der mechanischen
Teile unter sich, er würde die Schaufelräder einer hölzernen
Turbine bauen, die Zahnräder im Ölbad und die Achsen des Generators.
Er hatte Bögen aus Pergament vor sich liegen – seit zwei Monaten gewannen
zwei Familien das Papier aus den Schilfgräsern des Flusses. Spät in
der Nacht löschte er die Kerzen und legte sich schlafen.
     
    Nachts entfaltete die Blüte der Pflanze sich zu ihrer vollsten Schönheit.
Sie schillerte in metallischem Glanz auf, saugte sich mit Nährstoffen aus
den Stängeln voll und wartete auf die Insekten, die in ihren Kelch flattern
würden. Das Licht, das von der Blaulilie ausging, lockte die Schwärmer
an. Aber die Lilie war nicht nur schön.
    Langsam lockerte sich die Wurzel, kroch aus dem Loch, das sie sich gegraben
hatte, und griff nach dem nächsten Halt. Es war der Stamm eines Zierstrauchs,
der sich an die hitzestrahlende Mauer schmiegte. Er schüttelte sich, dass
seine Blätter flogen und die Staubgefäße seiner Blüten
einen rötlichen Nebel über das Gras ausschütteten.
    Wieder glitt die Lilie näher an die Mauer heran. Jetzt griff eine Ranke
– zäh, voller Widerhaken – über die steinerne Brüstung.
Sie glitt ab, fing sich und rollte sich auf. Dann holte eine zweite Ranke aus,
ringelte sich zusammen und schnellte vor. Sie witterte die Wärme eines
Körpers, mit einer Flüssigkeit gefüllt, die die Pflanze brauchte,
um den Verwandlungsprozess in einen Baum zu vollenden. Insekten waren zu klein.
Die Ranken zogen sich auseinander und suchten zitternd vor Gier über dem
warmen Körper, bis sie die Stelle gefunden hatten, an der diese Flüssigkeit
unter einer dünnen Rinde pulsierte.
    Eine dritte Ranke folgte ihnen. Sie kannte das Ziel und ringelte sich behutsam
um den warmen Stamm, unter dessen Haut es so verlockend pulsierte. Dann spannten
sich die zähen Zellen und schnürten die Stelle ab, unter der die Nahrung
lag. Langsam drückte die Lilie zu.
     
    Eine silberne Gestalt schwang sich mit einem hohen Satz über die Mauer
der Siedlung. Ein Hund bellte, dann schlief er wieder ein. Der blitzende Schemen
war ähnlich wie ein Mensch, er lief geduckt über einen Kiesweg, wobei
die weichen Sohlen keinerlei Geräusche machten. Er trug in der Hand ein
schlankes Wurfbeil. Die schwarzen Augen über dem breiten Maul drehten sich
schnell nach allen Seiten, sie saßen seitlich am runden Schädel.
Wieder überquerte der Schemen einen Weg, rutschte durch die Pforte in einem
Gartenmäuerchen und erstarrte, als er ein würgendes Geräusch
hörte. Dann war es still – plötzlich fiel etwas zu Boden und
zerschellte. Wieder hustete jemand, gurgelte. Einige dumpfe Schläge ertönten.
    Die darauf folgende Stille war so intensiv, dass sich der silberne Körper
aus dem Schatten des Dachvorsprungs hervorwagte und näher zum Fenster ging.
Seidenweiches, grausilbernes Fell bedeckte den Körper, der sich an den
glatten Steinen rieb. Er sah die Blaulilie, die gierig über dem Fensterbrett
hing; das Beil sauste herunter und trennte die Blüte von dem Blättersystem
der Lilie. Dann wandte sich der silberne Schatten wieder zurück in die
Dunkelheit, aus der er aufgetaucht war.
    Am Morgen weckte ein gellender Schrei die Nachbarn von Aldos Haus. Sie waren
Sekunden später in dem Zimmer, aus dem sie den Schrei gehört hatten.
Aldos Frau, Rena, stand fassungslos neben dem Toten.
    Eine Pflanzenfaser hatte sich um seinen Hals geschlungen und ihn erwürgt.
Der Tonleuchter war vom Tisch gefegt worden. Drei Dornen aus der Pflanze hatten
sich in seine Halsschlagader gebohrt. Die Blaulilie hatte Aldo erdrosselt und
ausgesaugt. Merkwürdig war nur, dass

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