Das zweite Imperium der Menschheit
Schultern.
»Wahrscheinlich. Es ist ein spätes Feuer. Vermutlich bin ich zehn
Jahre zu alt für diesen Job.«
»Unsinn. Wenn einer hier auf Everest es schafft, dann bist du es. Ich werd
dir eine Mannschaft für dein Schiff such’, ja?« Boy sah Aidon fragend
an.
»Gut. Das kannst du machen. Aber keinerlei Versprechungen. Schicke die
Männer zu mir.«
Boy nahm die Schneebrille, streifte sie über und zog die Kapuze über
die Haare. Dann schüttelte er Aidons Hand und schob die Tür zurück.
Der Jäger verschwand in der Nacht.
Aidons Beruf hatte ihn quer durch die Weite des Zweiten Imperiums geführt
und auf fast alle Planeten der Außenkolonien. Auf Everest, dem einzigen
Planeten einer dunkelroten Sonne, in der Siedlung Babylon des Erdteils Ninive
– kurz: einem der verlassensten Orte von drei Galaxien, war er gestrandet.
Seine Kraft hatte nicht mehr genügt, um hochzukommen und seinen ramponierten
Ruf zu säubern. Es war unmöglich für einen etwas mehr als mittelmäßigen
Forscher, wieder Anschluss an ein zersprengtes archäologisches Team zu
bekommen. Die Chance, die sich ihm seit dem Eintreten Boy Nikolayews geboten
hatte, war so groß, dass er nicht mehr zögern konnte. Unter der Schlackenschicht
schwelte wieder ein starkes Feuer.
Was Garry Viper nicht gelungen war – dessen Expedition nach der Entdeckung
Axarneas verunglückt war, unter mehr als rätselhaften Begleitumständen
–, er würde es schaffen. Was war in dem Würfel zu sehen? Was
hatte es auf sich mit Axarnea? Aidon schaltete den Betrachter wieder an und
beugte sich darüber. Zwischen den stählernen Klauen der Greifer hing
der grüngläserne Würfel. Ein Stromstoß genügte, um
den Kubus zu aktivieren. Er schilderte, was man ihm vor Zeiten anvertraut hatte.
Aidon setzte sich zurecht. Dann berührte sein Finger einen Schalter. Das
Bild baute sich auf und begann sich zu bewegen.
Zwischen zwei weißen Felsen, die haarscharfe Schatten warfen unter unbarmherzigen
Sonnenstrahlen, öffnete sich ein Durchlass und gab den Blick frei. Die
Steine waren mit seltsamen Schnörkeln verziert. Der Blick traf den heiligen
Hain. Langsam passierte die Aufnahmeapparatur die Monolithen und durchfuhr eine
lange Allee aus riesigen Jadevögeln. Sie saßen flugbereit auf schwarzen
Steinsockeln und schienen sich auf den Besucher stürzen zu wollen. Ihre
Schnäbel waren mit messerscharfem Stahl verkleidet. Die heiligen Geier
säumten einen Weg aus roten Steinplatten, der sich in der hitzeflirrenden
Ferne verlor.
Die Säulen eines weißen Tempels füllten den Hintergrund. An
den Seiten blieben die Vögel zurück. Bei einem fehlte ein Schnabel
– deutlich sah man die Kerbe einer elektronischen Raumaxt. Treppenstufen
glitten hinweg, dann sah man das Große Portal. Es bestand aus gelb schimmerndem
Metall, mit schwarzen Ornamenten verziert und eingelegt. Die gewaltigen Torflügel
schwangen auf. Das Grauen überwältigte den Betrachter. Kein Mensch
konnte sich der Erregung entziehen – aber nur Menschen konnten diese Schrecklichkeiten
erfunden oder vollzogen haben.
Man schritt in das Innere des Weißen Tempels. Er war von mildem Dämmerlicht
erfüllt. Es verhinderte, dass die Stein gewordenen Scheußlichkeiten
sofort sichtbar wurden. Die Stirnwand wurde wieder von gelbem Metall gebildet,
vor dem die Statue aufgestellt war. Das nächste Bild: Der schwarze Götze.
Der Herrscher, dessen Priester die uneingeschränkte Macht über acht
Planeten gehabt hatten. Die Priester, die verlangen konnten, was sie wollten,
hielten mit ihrer Macht nicht zurück.
Die Wand bestand aus Platten, in denen nur dann die vertieften Bilder sichtbar
wurden, wenn Mittagssonne absolut senkrecht herunterstrahlte. Die Parallelstrahlen
enthüllten Bilder aus der Geschichte Axars. Die Statue bestand aus kristallenem
Kohlenstoff, der auf dem Planeten Dorian in dieser rotschwarzen Form auftrat.
Teuer wie Diamant, aber grausam wie die Schwärze ritueller Nächte.
Die Statue stellte ein menschenähnliches Wesen dar, das auf einem weißen
Stein hockte. Es hatte einen Arm drohend angewinkelt und hielt in den Klauen
einen symbolischen Blitz. Der andere Arm wies hinaus in den heiligen Hain. Auf
der Stirn des grinsenden Götzen glänzte ein einziges Auge.
Jeder Stützpfeiler, der die massiven Quader des flachen Daches trug, war
in einer anderen, abscheulichen Weise bearbeitet worden. Bewohner dieser
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