Das Zweite Imperium
unterscheiden. Der absolute Unterschied lag auf geistigem, intellektuellem und auf fast jedem anderen Gebiet – ein erstaunlicher und schockierender Unterschied für jeden normalen Menschen, dessen gesamte Lebenseinstellung bewußt und unbewußt auf dem gleichberechtigten Nebeneinander der zwei Geschlechter basiert. Im Grunde waren diese Frauen kaum menschlicher als beispielsweise die Eich. Die Posenianer oder Rigellianer oder Velantier dagegen ... Jede normale Erdenfrau würde bei Worsels Anblick ohnmächtig zusammensinken, wenn sie ihm nachts in einer dunklen Straße begegnete. Und doch war uns seine Rasse im Grunde näher als die gutgebauten Lyranerinnen – eben weil auch sie auf eine Balance zwischen zwei Geschlechtern ausgerichtet war.
»Wir sind da«, sagte die Person und stoppte den Wagen vor einem schlichten grauen Steingebäude. »Folgen Sie mir bitte.«
»Gern«, erwiderte er und stieg aus. Es war deutlich zu spüren, daß das Mädchen den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern versuchte. Offenbar wollte sie damit dokumentieren, daß ihr seine Nähe in dem kleinen Wagen unangenehm gewesen war und daß sie nicht von ihm berührt werden wollte. Es hätte sie vielleicht überrascht zu erfahren, daß dieses Gefühl durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte.
4
»Ich stelle fest, daß Sie Ihre guten Vorsätze zu vergessen beginnen«, sagte Kinnison drohend. »Meine Geduld ist jetzt zu Ende. Wenn Sie den Zwilnik irgendwie warnen, ist hier gleich die Hölle los.«
»Aber ich muß der ›Ältesten‹ doch Bescheid geben«, erwiderte sie. »Ohne Vorankündigung darf ich keinen Fremden mitbringen.«
»QX. Aber halten Sie sich an die Ankündigung!«
Vorsichtig tastete er sich mit seinem Wahrnehmungssinn voraus. Der Raum, dem sie sich näherten, war groß und bis auf einige lange Tische unmöbliert. In der Mitte führte ein graziles Mädchen eine Art akrobatischen Tanz auf, wobei es zuweilen in komplizierten Stellungen erstarrte. An den Tischen saßen etwa hundert Lyranerinnen und aßen.
Kinnison interessierte sich weder für die Vorführung noch für die Lyranerinnen, sondern nur für den Zwilnik. Er entdeckte sie schließlich an einem kleinen Tisch in der Nähe der Tür. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Zu ihrer Linken saß eine rothaarige Lyranerin zurückgelehnt in einem verstellbaren Drehstuhl, der die einzige Sitzgelegenheit dieser Art darstellte. Sie schien die maßgebliche Person in dem Raum zu sein. Doch Kinnisons Interesse galt nach wie vor der Frau von der ...
Nein, sie stammte nicht von der Erde! Als sie jetzt den Kopf wandte, hielt er den Atem an, denn er hatte eine Aldebaranerin vor sich – ein Mädchen von traumhafter Schönheit. Und erst ihr Schmuck! Die lyranische Tigerin schien nicht übertrieben zu haben. Ihre Brustschilde bestanden aus gold- und platinverziertem Filigranwerk, das mit Diamanten, Smaragden und Rubinen durchsetzt war. An ihrem reich verzierten Gürtel glitzerte ein juwelenbesetzter Dolch mit kurzer Klinge. Außerdem trug sie Ringe an jedem Finger, ein Halsband, das in allen Farben des Spektrums schimmerte, Arm- und Fußreife und ein wertvolles metallenes Knieband am linken Bein. Dazu kamen herrliche Ohrringe und eine kunstvoll aufgetürmte Frisur, die von mindestens zwölf leuchtenden Spangen und Kämmen gehalten wurde.
»Bei Klono!« dachte Kinnison. Es konnte kein Zweifel bestehen, daß jeder der schimmernden Steine echt war.
Aber diese Äußerlichkeiten durften ihn nicht interessieren. Viel wichtiger war die Frage, ob die Aldebaranerin einen Gedankenschirm trug. Kinnison stellte bald fest, daß der Schirm-Generator des Mädchens abgeschaltet und die Batterie fast erschöpft war. Auch hatte sie einen präparierten Zahn, den Kinnison jedoch unschädlich zu machen gedachte, bevor sie die gefährliche Flüssigkeit schlucken konnte. Das Mädchen konnte ihm viel verraten, und er hatte sie nicht so erbarmungslos gejagt, um dieses Wissen im letzten Augenblick der boskonischen Droge zu opfern.
Inzwischen hatten sie die Tür erreicht, und trotz der heftigen Proteste seiner Begleiterin stieß Kinnison die Türflügel weit auf, drang gewaltsam in den Geist des weiblichen Zwilniks ein und verdammte sie zur Bewegungslosigkeit. Ohne sich um das überraschte Murmeln der Lyranerinnen zu kümmern, trat er hinter die Aldebaranerin, legte ihr den Arm um den Hals, bog ihren Kopf zurück, öffnete ihr den Mund und entfernte den falschen Zahn. Dann löste er seinen Griff, entließ das
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