Das zweite Königreich
Earl Harold einen eigenen Übersetzer mitgenommen hat.«
Cædmon konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. »Ich wünschte bei Gott, er hätte mich zufriedengelassen und ich könnte da sein, wo ich herkomme.«
Oswald schürzte die Lippen. »Immerhin kann ich den Brüdern also berichten, daß du nicht die Absicht hast, dich hervorzutun und in Harolds Diensten auf Kosten ihrer Glaubwürdigkeit Karriere zu machen.«
»Ganz sicher nicht«, beteuerte Cædmon mit Inbrunst.
»Das wird sie beruhigen. Du möchtest also gar nicht in die Normandie an den Hof des strahlenden Herzogs William?«
Cædmon schüttelte den Kopf, hob die Linke und strich dem Falken behutsam das Gefieder. Der Vogel senkte den gekrümmten Schnabel und bot seine weiße Brust den liebkosenden Fingern.
Oswald wandte sich um, verschränkte die Arme und lehnte sich seufzend an die Reling. »Ach ja. Warum sollte es dir besser ergehen als mir?«
»Ihr wolltet auch nicht?« erkundigte Cædmon sich, erleichtert, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben.
Oswald schüttelte den Kopf. »Bei dieser Sache kann nichts Gutes herauskommen.«
»Wie meint Ihr das?«
Der Bruder hob unbehaglich die Schultern. »König Edward liebt die Normannen und die Normandie. Vielleicht mehr, als gut ist für England. Earl Harold hingegen mißtraut den Normannen zutiefst. Trotzdem schickt der König ausgerechnet ihn an Williams Hof. Dabei möchte ich wetten, daß William Harold ebenso mißtraut wie umgekehrt. Nein, ich fühle mich nie besonders wohl, wenn ich feststelle, daß ich zwischen Hammer und Amboß geraten bin. Was mir seltsamerweise immer wieder passiert. Aber nun muß ich gehen, Freund Cædmon. Sei guten Mutes, Earl Harold selbst führt das Ruder, wir werden sicher landen. Er ist ein hervorragender Seemann. Das liegtan den Wikinger-Vorfahren«, schloß er trocken und wollte sich abwenden.
»Wartet noch«, bat Cædmon impulsiv. Er hatte drei Tage lang mit niemandem gesprochen. Er wollte nicht gleich wieder alleingelassen werden.
Oswald zögerte und sah ihn abwartend an.
»Aus welchem Kloster kommt Ihr, Bruder Oswald?«
»Ely.«
»Dorthin wollte mein Bruder. Aber Vater erlaubt es nicht.«
Oswald verzog das Gesicht in spöttelnder Mißbilligung. »Dein Vater riskiert sein Seelenheil … Warum will dein Bruder ins Kloster?«
»Er will lesen lernen.«
»Eine gefährliche Gabe.«
Cædmon sah ihn überrascht an. »Wieso sagt Ihr das?«
»Weil ich es erfahren habe, am eigenen Leib. Nichts kann einen Mann so von Gott entfernen wie die Wissenschaft. Sag das deinem Bruder.« Cædmon lächelte schwach. »Er ist wie Ihr, wißt Ihr.«
Oswald erwiderte das Lächeln. »Dann sag ihm, er soll rennen, so weit und so schnell er nur kann, wenn er einem Kloster nahekommt.« Und damit wandte er sich ab.
Der Wind frischte auf, und Cædmon verließ seinen Platz bald, weil die Reling zum Schauplatz höchst unappetitlicher Vorkommnisse wurde. Er wanderte langsam nach achtern und dachte verwundert, daß er noch nie in seinem Leben so viele standhafte Männer hatte kotzen sehen. Als er zum Ruderstand kam, sagte eine lachende Stimme: »Nun, Cædmon? Du und ich und Odin scheinen beinah die einzigen an Bord, die seefest sind.«
Cædmon wandte den Kopf. Harold Godwinson stand am Ruder, seine Augen lachten, seine wunderbar gesunden Zähne waren entblößt, und für einen Moment erschien er wahrhaftig wie ein wilder Wikinger. Cædmon mußte sich zusammennehmen, um nicht furchtsam zurückzuweichen.
»Wer ist Odin, Mylord?«
Harold nahm kurz die Linke vom Ruder und wies auf den Falken. »Mein bestes Stück. Reitest du oft zur Falkenjagd, Junge?«
Cædmon schüttelte den Kopf. »Nie, Mylord.« Es war ein sündhaft teurer Zeitvertreib, den sein Vater sich nicht leisten konnte.
Harold runzelte die Stirn. »Was fällt dem Falkner dann ein, ihn dir anzuvertrauen? Gib ja auf ihn acht. Wenn du ihn ausbüxen läßt, kommst du in Teufels Küche.«
Cædmon wickelte die Halteleine fester um die Linke. »Seid unbesorgt. Was bedeutet Odin?«
»Es ist der Name eines der alten Götter.«
»Oh … dänisch«, murmelte Cædmon mit kaum verhohlener Geringschätzung.
Harold sah ihn einen Augenblick an, ein Mundwinkel zuckte. »Auch deine angelsächsischen Vorfahren haben zu Odin gebetet, ehe aus Irland und Rom die Mönche kamen, die sie zum wahren Glauben bekehrten, mein Junge.«
Cædmon war keineswegs sicher, ob er das glauben sollte.
Harold nickte nachdrücklich. »So war es. Und die
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