Das zweite Königreich
tief durch. »Ich verstehe Eure Beweggründe, Cædmon. Aber ich muß Eure Bitte abschlagen. Ich hatte große Hoffnungen auf Waltheof gesetzt. Aber er hat mich einmal zu oft hintergangen. Und es ist zu gefährlich, ihn leben zu lassen.«
Cædmon gab sich geschlagen und nickte wortlos.
William konnte sich eine kleine Spitze nicht verkneifen: »Kopf hoch, Thane. Die Hälfte seiner Besitztümer in Huntingdon fällt an Euch.« Er wartete einen Moment vergeblich auf eine Reaktion und fuhr dann fort: »Und jetzt zu Philip von Frankreich, Monseigneurs …«
Cædmon stapfte frierend vor der Kapelle auf und ab und war erleichtert, als Etienne endlich herauskam. Sie wechselten wortlos einen Blick und gingen dann langsam nebeneinander zur Halle zurück.
»Aliesa sagt, du habest zwei wundervolle Söhne«, bemerkte Etienne in scheinbar unbeschwertem Plauderton. »Vor allem der kleine Wulfnoth hat es ihr angetan.«
»Ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit. Wulfnoth ist ein stilles Wasser. Ich finde nur schwer Zugang zu ihm. Aber ihr ist es mühelos gelungen.«
»Sie hat die Tage in Helmsby genossen.«
»Das freut mich zu hören. Sie war eine große Bereicherung für mein Haus.«
Etienne nickte versonnen. »Wenn ich denke, daß Roger sie mit dir nach Helmsby geschickt hat, damit er ungestört mit Ralph de Gael und Waltheof of Huntingdon paktieren konnte …« Seine Stimme klang tief und leise. »Ich kann es einfach nicht fassen, Cædmon.«
»Nein, ich weiß. Und ich habe geglaubt, er wolle deine Frau loswerden, um irgendeinem Rock nachzujagen.«
»Ich wünschte, es wäre so gewesen«, sagte Etienne, blieb unvermittelt stehen und kreuzte die Arme. »Welcher Dämon hat ihn nur besessen? Ich meine … Gott, Cædmon, du kannst dir nicht vorstellen, wie unser Vater uns gepredigt hat, immer zum König zu stehen, komme was wolle. Wie er ihn verehrt hat. Ich weiß, daß er Roger damit immer auf die Nerven gegangen ist, aber das hier … Und jetzt mißtraut der König mir.«
»Blödsinn.«
»Hast du nicht gemerkt, wie er mich angesehen hat?«
»Er mißtraut dir nicht, Etienne. Er ist gekränkt und zornig und sucht nach dankbaren Opfern, an denen er seinen Zorn auslassen kann. Das ist alles. Sobald er sich beruhigt hat, wird er wieder aufhören, dir argwöhnische Blicke zuzuwerfen. Du kennst ihn doch.«
Etienne hatte Zweifel. »Ich weiß nicht … Dich hat er jedenfalls nie so angesehen, nachdem er wußte, daß dein Bruder Herewards Getreuer war.«
»Mein Bruder war auch nicht der Sohn seines Vetters und Seneschalls. Kein fitz Osbern, sondern nur ein unbelehrbarer, dummer Angelsachse. Das ist ein Unterschied.«
»Oh, Cædmon. Das ist wirklich nicht komisch.«
»Mir ist durchaus ernst, was ich sage. Hast du mit Roger gesprochen?« Etienne schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Ich will ihn nicht sehen. Aber ich bin sicher, der König wird mir auftragen, Roger die Nachrichtvon seinem Urteil zu überbringen, wenn ich nach Weihnachten heimreite.« Er hob den Kopf und sah Cædmon an. »Mir graut davor.« Cædmon nickte und legte ihm einen Moment die Hand auf die Schulter. »Trotzdem besser, wenn du es ihm sagst. Denn du bist vermutlich der einzige Mann in England, der auch nur einen Funken Mitgefühl für deinen Bruder empfindet.«
Weihnachten in Gloucester wurde ein prunkvolles Fest, und wie immer bot es Gelegenheit für manch frohes Wiedersehen. Cædmon war selig, daß Lanfranc Guthric mit an den Hof brachte, und endlich fanden die Brüder wieder einmal Muße, in Ruhe miteinander zu reden. Guthric wirkte asketisch und beinah erhaben in seiner tadellosen schwarzen Kutte zwischen all den bunt gekleideten Höflingen, und er machte keinen Hehl aus seiner Mißbilligung des verschwenderischen Pomps, aber er bewegte sich gewandt unter all den Mächtigen des Reiches; er war den Umgang mit ihnen gewöhnt. Und er erzählte Cædmon und seinen Freunden die komischsten Geschichten über Philip von Frankreich, die Lanfrancs Spione aus Paris berichteten, und natürlich von Papst Gregor, der vormals Hildebrand von Soana geheißen hatte und tatsächlich wie die Geißel Gottes über die Kirche und die christliche Welt gekommen war. Es hieß, der junge deutsche König Heinrich wolle ihn absetzen, da ihm die Machtansprüche dieses eifrigen neuen Papstes nicht behagten. Es hieß auch, Papst Gregor habe gedroht, Heinrich mit dem Bann zu belegen. Genau wie seine Freunde genoß Cædmon all diese haarsträubenden Geschichten, zumal sie
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