Das zweite Königreich
Statthalter und Erzbischof Lanfranc geltend zu machen. William mag dieser Ehe zugestimmt haben – was blieb ihm angesichts des Testaments auch anderes übrig –, aber ich weiß, daß er seine königliche Stirn darüber runzelt. Vor allem, da Ihr nicht einmal soviel Anstand beweist, ein Trauerjahr einzuhalten. Und ich habe nicht die Absicht, ihn noch weiter gegen mich aufzubringen.«
Cædmon warf besorgt einen kurzen Blick auf Aliesa, die an seiner Seite saß, lustlos aß und vorgab, nicht zu hören, was sie redeten. Er senkte die Stimme. »Ich hatte geglaubt, Ihr würdet es um ihretwillen tun.«
Odo verdrehte die Augen und atmete tief durch, offensichtlich war er hin und her gerissen. Nach einem kurzen inneren Kampf schüttelte er den Kopf. »Ich fürchte, ich kann nicht.«
In vorgetäuschter Gleichmut hob Cædmon die Schultern. »Nun, dann werde ich Vater Cuthbert bitten. Er ist mein Pächter und kann kaum ablehnen.«
»Fragt sich nur, wie rechtskräftig die Ehe wäre. Ich hatte die Ehre, gemeinsam mit ihm Eure Mutter zu beerdigen. Er kann kein Latein, Cædmon. Ich habe Zweifel, ob er in der Lage ist, Euch ordentlich zu trauen. Außerdem …«
»Ich werde es tun«, unterbrach Guthric, der neben Aliesa saß und ebenso unauffällig gelauscht hatte wie sie.
Aliesa, Cædmon und Odo sahen ihn überrascht an.
»Du?« fragte Cædmon verwirrt. »Aber … aber wie ist das möglich?« Sein Bruder hob mit einem kleinen Lächeln die Schultern. »Ich habe vor einem Jahr die Priesterweihe empfangen. Ich kann Euch rechtsgültig trauen, und keine Macht dieser Welt wird mich daran hindern.Ganz sicher nicht der König«, schloß er mit einem spöttischen Blick in Odos Richtung.
Der Bischof verzog den Mund und knurrte: »Ja, Ihr habt gut lachen, Guthric, in jedem Nachbarschaftsstreit zwischen Lanfranc und mir steht Ihr aus des Königs Sicht auf der richtigen Seite …«
Guthric hob gleichgültig die Schultern. »Eure Machtkämpfe sind mir völlig gleich, Monseigneur. Sie langweilen mich zu Tode, um ehrlich zu sein.«
»Nun, wir werden ja sehen, ob das immer noch so sein wird, wenn Ihr erst einmal Lanfrancs Erzdiakon seid«, entgegnete Odo bissig.
»Guthric …«, unterbrach Cædmon mit einem fassungslosen Kopfschütteln, »du bist Priester? Und sollst Erzdiakon werden?«
Sein Bruder seufzte vernehmlich. »Ich soll, ganz recht. Von Wollen kann keine Rede sein …«
Cædmons Augen leuchteten. »Du meine Güte, wenn Vater das wüßte. Ich bin ja so stolz auf dich, Guthric.«
»Das könnt Ihr auch sein«, vertraute Odo ihm an. »In Williams Abwesenheit herrscht Erzbischof Lanfranc über England. Ist William hier, beherrscht Lanfranc William. Und dieser große, gelehrte, weise und so mächtige Lanfranc tut keinen Schritt ohne den Rat des nahezu unsichtbaren Guthric of Helmsby.«
»Hör nicht auf ihn, Cædmon«, riet Guthric. »Der Bischof neigt zu Übertreibungen. Das ist ein verbreitetes Übel in seiner Familie.«
Odo lachte wider Willen, hob den Becher an die Lippen und nahm einen tiefen Zug. »Ihr wißt so gut wie ich, daß es die Wahrheit ist. Euch hat Gott geschickt, um mich Demut zu lehren, Guthric.« Er nahm ein Stück Fasanenfleisch, tunkte es in die Kräutersauce und verspeiste es. Seine Miene hellte sich ob des Geschmacks einen Moment auf, wurde aber sogleich wieder verdrossen. »Als mein Bruder England eroberte, habe ich gehofft, als geistliches Oberhaupt dieses Landes seine rechte Hand bei dessen Neuordnung zu werden. Nun, ich muß zugeben, Lanfranc ist der bessere Mann dafür. Aber wenigstens Lanfrancs rechte Hand hätte ich werden sollen.«
»Aber das seid Ihr doch«, wandte Guthric verständnislos ein. »In Williams Abwesenheit habt Ihr als Regent doch die gleichen Vollmachten wie Lanfranc …«
»Wem wollt Ihr das weismachen, mein Sohn?« fragte Odo. Sein Tonfall war belustigt, die Augen funkelten spöttisch, aber Cædmonglaubte, einen Hauch von Bitterkeit zu hören. »In Wahrheit liegt die Macht bei Lanfranc allein, denn ihm gehört Williams uneingeschränktes Vertrauen.« Odo hob einen Zeigefinger, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Uneingeschränkt. Und Lanfrancs Vertrauen wiederum gehört Euch. Nicht mir. Das sind die Tatsachen«, schloß er mit einem entwaffnenden Lächeln, das Cædmon zu der Überzeugung brachte, daß dieser Sachverhalt Odo zwar kränkte, ihm andererseits aber auch nicht ungelegen kam. Odo war ehrgeizig. Aber er war auch bequem.
Unter dem Tischtuch nahm er Aliesas Hand und
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