Das zweite Königreich
spekuliert, was für neumodische normannische Sitten jetzt wohl in der Halle einziehen würden.
»Ich hoffe nur, sie setzt mir keinen normannischen Koch vor die Nase«, brummte Helen verdrossen. »Ich hab gehört, wie sie zu Hyld sagte, es seien nicht genug Dienstboten in der Halle. Und sie will eine persönliche Zofe. Das müßt ihr euch mal vorstellen.«
Der hübsche Odric zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Lieber ein normannischer Koch als ein normannischer Priester. Sie ist furchtbar fromm, heißt es.«
Er stibitzte eine Rosine aus dem Vorratstopf, den sie neben dem Herd abgestellt hatte, und handelte sich einen unsanften Klaps auf die diebischen Finger ein.
»Hände weg«, schalt die Köchin mißgelaunt und schüttelte dann seufzend den Kopf. »Warum konnte der Thane kein nettes, englisches Mädchen heiraten?«
Odric grinste. »Nun, ich wäre der letzte, der etwas gegen englische Frauen sagen würde, aber eine solche Schönheit muß man eben nehmen, wo man sie findet.« Er lachte über ihr abfälliges Grunzen. »Kopf hoch, Helen. Sieh es doch mal so: Im Grunde haben wir Glück gehabt. Vor ein paar Jahren sah es noch so aus, als solle er diese Beatrice heiraten. Dann hätten wir wirklich nichts mehr zu lachen gehabt.«
Sie nickte grimmig. »Wir werden ja sehen, ob wir es mit der Lady Aliesa soviel besser angetroffen haben. Eins ist jedenfalls sicher: Irmingard wird es ganz und gar nicht gefallen, daß sie die Schlüssel einer Normannin überlassen muß.«
Aber Helen täuschte sich. Irmingard hatte als Frau des Stewards den Haushalt verwaltet, seit Marie im vergangenen Winter krank geworden war, aber sie wußte selbst am besten, wie sehr diese gewaltige Aufgabe sie überforderte, und gab sie bereitwillig in fähigere Hände.Aliesa war dazu erzogen und ausgebildet worden, die Dame einer großen Halle zu sein, Vorräte, Wolle und Leinen in riesigen Mengen zu verwalten, den Bedarf an Pökelfleisch, Räucheraal, Mehl, Käse, Zwiebeln und so weiter für den ganzen Winter vorauszuberechnen, die teuren Gewürze und Kerzen sowie Talg und Holzkohle in den richtigen Mengen einzukaufen und zu verwalten und all die anderen Aufgaben zu versehen, die damit einhergingen. Irmingard hingegen hatte die erste Hälfte ihres Lebens im Haus ihres Onkels in Haithabu verbracht, wo sie als Küchenmagd hatte schuften müssen, sobald sie alt genug war. Dann hatte sie bei Erik und Hyld in York gelebt und wenigstens gelernt, einen Kaufmannshaushalt zu führen, aber das war mit einer Halle wie Helmsby nicht zu vergleichen.
»Darum bin ich froh und glücklich, daß du gekommen bist, ehe ich anfangen muß, für den nächsten Winter zu planen«, gestand sie Aliesa offen und überreichte ihr ohne jede Feierlichkeit und vor allem ohne das geringste Bedauern den dicken Schlüsselbund. »Hier. Möge er dir nicht jede Nacht den Schlaf rauben wie mir.«
Aliesa lächelte zuversichtlich und befestigte den Ring an ihrem Gürtel. »Nicht, wenn du eine Runde durchs Haus mit mir machst und mir zeigst, welcher Schlüssel zu welchem Schloß gehört.«
»Einverstanden. Aber du mußt Nachsicht mit mir üben, wenn du die Leinenkammer siehst. Hyld hat versucht, dort Ordnung zu schaffen, aber irgendwie …« Sie hob in komischer Verzweiflung die Schultern. »Oh, die Leinenkammer sah schon wieder ganz manierlich aus«, erklärte Hyld, während sie an den Tisch trat und sich zu ihnen setzte. »Bis ich vorgestern vergessen habe, sie abzuschließen, und die kleinen Räuber dort eingefallen sind.«
»Ihre Söhne und Cædmons«, erklärte Irmingard.
Hyld nickte seufzend. »Ich wünschte, ich hätte ein Mädchen wie du, Irmingard.« An Aliesa gewandt fuhr sie fort: »Wir müssen uns etwas einfallen lassen wegen der Jungen. Alfred widmet ihnen soviel Zeit, wie er nur erübrigen kann, aber das reicht nicht. Sie wachsen auf wie kleine Wilde, und wenn Ælfric und mein Harold zusammenstecken, haben sie nur Unsinn im Kopf.«
Aliesa nickte nachdenklich und dachte, daß einer von Cædmons Rittern sich der Jungen annehmen sollte, wenn ihre Väter nicht daheim waren. »Entschuldige die Frage, Hyld, aber ich war lange fort und weiß viele Dinge nicht. Lebst du in Helmsby?«
Hyld nickte. »Derzeit ja. Wir haben ein Haus in London, aber ich verabscheue das Leben in der Stadt, und London ist hundertmal schlimmer als York. Darum komme ich mit den Kindern her, wenn Erik auf See ist. So wie jetzt.«
»Wo ist er?« fragte Aliesa neugierig.
Hyld seufzte. »Das
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