Das zweite Leben
und das Festland herabzuregnen.
»Was … was ist geschehen?« fragte Ross kaum hörbar, obwohl er die Antwort kannte. Er war mit einem Schlag ernüchtert und erkannte, was er in seiner Raserei angerichtet hatte.
Die Schwester schwieg länger als eine Minute, und Ross glaubte, vor Scham im Boden versinken zu müssen. Dann erklärte sie schlicht und einfach, daß zwei Roboter der höheren Intelligenzstufe unreparabel zerstört worden seien. Aus den Trümmern konnte man zwar neue Maschinen bauen, doch die Persönlichkeit der Roboter war verloren. Dies war der letzte Beweis dafür, daß die Maschinen zu Individuen geworden waren. 5B bat Ross, ins Hospital zurückzukehren, weil die Strahlung des radioaktiven Materials der Robotbrennkammern bald gefährlich werden würde.
»Es tut mir leid«, murmelte Ross. »Es tut mir wirklich leid.«
Auf dem Weg nach unten hatte er Zeit, über viele Dinge nachzudenken, vor allem aber über seine krankhafte Weigerung, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie waren. Er war der letzte Mensch, und er hätte dies von Anfang an wissen müssen. Statt dessen hatte er sich selbst betrogen und unsinnigen Hoffnungen hingegeben. Er hätte nicht versuchen sollen, sich dem Hungertod zu entziehen, und zur rechten Zeit aufgeben und sterben sollen. Man konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen – auch er nicht.
Die Wirklichkeit sah so aus, daß es wieder Intelligenz auf der Erde gab. Machte es einen Unterschied, ob diese organisches Leben war oder Roboter, die von Menschenhand geschaffen worden waren und nun ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen hatten?
Sein Tod würde der Untergang ihrer Zivilisation sein, solange sie ihren einzigen Daseinszweck darin sahen, Menschen zu dienen. Aber wenn diese Programmierung geändert wurde? Hatte Ross das Recht, ihnen ihre Zukunft zu nehmen? Die Roboter waren praktisch unsterblich, und vielleicht würden sie eines Tages all das schaffen, woran die Menschheit gescheitert war.
Als sie Ross’ Quartier erreichten, setzte er sich auf die Bettkante und breitete diesen Gedanken vor 5B aus. Sie hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, auch dann, als er die aus seinen Überlegungen gezogenen Schlüsse und seine Entscheidung bekanntgab. Ross sprach langsam, um völlig sicher zu sein, daß alle Roboter ihn verstehen würden. Bei dem Gedanken daran, daß dies ein historischer Augenblick war, ein Ende und ein Anfang zugleich, überkam ihn Traurigkeit, aber auch ein gewisser Stolz. »Ihr könnt mich von nun an als euren Freund betrachten«, schloß er. »Einen schlafenden Partner, aber nicht mehr. Von nun an habe ich nicht mehr das Recht, euch Befehle zu erteilen. Ihr seid frei und eure eigenen Herren.«
Die Schwester sagte lange nichts, und Ross befürchtete schon, sie hätte seinen Entschluß als Ausgeburt eines kranken Gehirns eingestuft und abgelehnt. Dann sagte sie unvermittelt:
»Wir haben uns ein Geschenk für Sie ausgedacht, Sir, allerdings wußte ich bisher nicht, ob ich es Ihnen übergeben sollte, weil ich an unsere Unterhaltung über den Unterschied zwischen Hilfeleistung und Freundlichkeit dachte. Ich hoffe, daß es Ihnen gefällt.«
Es war ein Bild von Alice, das ihren Kopf und die Schultern in Lebensgröße zeigte. Als Vorlage mußte eine Vergrößerung des Photos in Ross’ Brieftasche gedient haben. An einigen Stellen stimmten die Farben nicht ganz, doch das Gemälde wirkte so echt, daß Ross Mühe hatte, seine aufgewühlten Gefühle zu verbergen.
»Es ist wunderschön«, flüsterte er. »Ich danke euch allen.«
»Sie haben immer während der letzten Augenblicke vor dem Tiefschlaf nach ihr gerufen«, erklärte die Schwester.
Ross stellte das Bild gegen die Beethovenbüste und betrachtete es lange. Schließlich gab er sich einen Ruck.
»Ich möchte jetzt schlafen.«
5B wußte so gut wie er, daß er dabei nicht an sein Bett dachte.
15.
Die Welt veränderte sich, während Ross im Tiefschlaf lag. Das Gras verbrauchte Kohlenstoff und Kohlendioxyd und erzeugte Sauerstoff. Im Lauf der Jahrhunderte verdoppelte sich der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie Feuer fing und alles Gras auf dem Festland, mittlerweile sechs Meter hohe Pflanzen, verbrannte. Irgendwo und irgendwann zündete der verhängnisvolle Funke, ein Blitz in einem schweren Gewitter, und setzte das trockene Gras in Flammen. Ein verheerender Feuersturm fegte über das Land. Die Funken wurden mit der Geschwindigkeit des Windes in die Höhe
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