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Das zweite Leben

Das zweite Leben

Titel: Das zweite Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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etwas, das seine Laune bessern konnte.
    »Also berichte«, sagte er träge zur Schwester. »Oder besser noch, laß uns hinausgehen, damit ich mich selbst umsehen kann. Und komm bloß nicht auf die Idee, mir einzureden, daß ich dazu noch zu schwach sei und Urlaub brauchte!«
    Das Gras war höher als jenes, das er zuletzt gesehen hatte – harte Halme, die an unreifes Getreide erinnerten. Ross’ Herz schlug heftig, und er fühlte sich berauscht, ein sicheres Zeichen für den stark angestiegenen Sauerstoffgehalt der Luft. Die Sturzwellen brachen sich immer noch an der Küste, aber der Strand war grün!
    Es gab kein Körnchen Sand mehr, nur einen nassen grünen Brei von flach auf dem Boden liegenden, übereinandergeschichteten Gräsern. Auch das Wasser schimmerte grünlich. Das Gras wuchs vom Festland über den Küstenstreifen bis tief ins Meer, wo es an den seichteren Stellen wie schmutziger Tang an der Oberfläche trieb. Alles wirkte wie ein einziger monströser Organismus.
    »In dieser Suppe könnte ich niemals schwimmen!« brach es aus Ross heraus. Die Entwicklung des Grases, die die Schwester so knapp wie möglich skizzierte, interessierte ihn nicht. Angeekelt starrte er auf das sich ihm bietende Bild. Selbst 5Bs Auskunft, daß die Pflanzen eine gewisse Mobilität entwickelt hätten, um im stetigen Auf und Ab der Gezeiten existieren zu können, ließ ihn kalt. Und doch konnten die noch bescheidenen und meist erfolglosen Versuche des an Land geschwemmten Grases, ins Meer zurückzukriechen, der Beginn einer Entwicklung sein, an deren Ende eine mobile und intelligente Pflanzenart stand.
    »Und deshalb hast du mich aus dem Tiefschlaf geholt?« fragte Ross ärgerlich. »Wegen diesem kümmerlichen Zeug, das drei Wochen braucht, um die fünf Meter bis zum Wasser zurückzulegen? Friert mich wieder ein, bis etwas wirklich Wichtiges geschieht. Sofort!«
     
    Bei seinem nächsten Erwachen war es Nacht, als er an die Oberfläche kam. Das Gras ragte bis zu drei Meter in die Höhe. Aus den Halmen waren kleine Stämme geworden, die sich leicht im Wind bewegten. Der Strand war wieder weiß, und ein Mond, der zur dreifachen Größe des Ross vertrauten Himmelskörpers angeschwollen war, machte die Nacht fast taghell. 5B erklärte, daß das Seegras sich in größere Tiefen zurückgezogen und dabei einige interessante Mutationen hervorgebracht hatte, als die Fluten durch die immense Anziehungskraft des näher an die Erde gerückten Mondes verheerende Ausmaße anzunehmen begannen. Schwimmen war unmöglich geworden, denn auch die Sonne hatte sich verändert, und ihre Strahlen waren lebensgefährlich für den, der ihnen länger ungeschützt ausgesetzt war.
    Die Schwester erklärte, daß die Suche nach Leben im Pazifik, auf dem Mond und dem Mars keine positiven Ergebnisse gebracht hatte. Ross hörte sich alles an und kam zu dem Schluß, daß die Mutationen des Seegrases nicht der Rede wert waren und keinen wirklichen Fortschritt darstellten. Hatte er etwas anderes erwartet? Wenn die Roboter ihn doch endlich in Ruhe schlafen und sterben ließen! Noch bevor die gelbe Scheibe des Mondes unterging, bat er die Schwester, ihn wieder einfrieren zu lassen.
    »Ich rate davon ab, Sir.«
    »Und weshalb?« fragte Ross. »Ich bin hier überflüssig, und im übrigen solltet ihr froh sein, daß ich soviel Zeit im Tiefschlaf verbringe. Du sagtest doch selbst, daß nach meinem Tod euer Dasein seinen Sinn verliert. Also laßt mich schlafen. Auf diese Weise bleibe ich euch noch einige hunderttausend Jahre erhalten. Oder braucht ihr mich jetzt nicht mehr?«
    Die Schwester schwieg lange, bevor sie antwortete: »Wir sind nach wie vor Ihre Diener, Sir, und wir werden es immer sein. Wir sind auch dankbar dafür, daß Ihr Leben durch den Tiefschlaf verlängert wird, aber es ist egoistisch von uns, so zu denken. Auch Sie sollten längere Zeit in wachem Zustand verbringen, um Freude am Leben haben zu können. Es gibt inzwischen viele Möglichkeiten zur Zerstreuung. Sie müssen wieder zu leben lernen, Sir.«
    War das noch der gleiche Roboter, der tickend vor ihm gestanden hatte, das gleiche Riesenei, dessen monotone Antwort auf alle komplizierten Anweisungen lautete: »Ich bin nicht darauf programmiert, eigene Entscheidungen zu treffen.«? 5B hatte nicht nur ein beachtliches Maß an Intelligenz entwickelt, sondern war fast schon eine Persönlichkeit, erkannte Ross verblüfft. Die Schwester dachte und handelte wie ein Mensch. Gab es überhaupt noch einen Unterschied

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