Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das zweite Vaterland

Das zweite Vaterland

Titel: Das zweite Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Obersteuermann vorzüglich hatten alles Elend und alle Enttäuschungen auch nicht das geringste anhaben können.
    »Ich werde fett, erklärte er wiederholt, ja, richtig fett! Das kommt davon, wenn man seine Zeit mit Nichtsthun verbringt!«
    Mit Nichtsthun, ach, in dieser unglückseligen Lage war ja leider nichts zu thun.
    Am Nachmittag des 29. ereignete sich ein Zwischenfall, der zwar auch keine erwünschte Aenderung der Dinge hervorbringen konnte, der aber die Erinnerung an glücklichere Zeiten wachrief.
    Auf dem noch erreichbaren Theile des Vorberges hatte sich ein Vogel niedergesetzt.
    Es war ein Albatros, der jedenfalls von weither kam und sehr müde zu sein schien. Er streckte sich so zu sagen, die Füße nach hinten und die Flügel gefaltet, auf dem Felsen aus.
    Fritz wollte versuchen, ihn zu fangen. Bei seiner Geschicklichkeit im Schleudern des Lassos konnte ihm das vielleicht gelingen, wenn er eine Leine von der Schaluppe mit einem Laufknoten versah.
    Der Obersteuermann machte eine solche Leine zurecht, und Fritz begann den Vorberg vorsichtig und geräuschlos zu erklimmen.
    Alle folgten ihm mit den Blicken.
    Der Vogel rührte sich nicht; Fritz konnte sich bis auf einige Toisen heranschleichen, dann sauste sein Lasso durch die Luft und schlang sich um den Leib des Albatrosses.
    Dieser versuchte kaum, sich zu wehren, als Fritz ihn auf den Armen nach dem Strande hinuntertrug.
    Da erscholl aus Jennys Mund ein Schrei der Ueberraschung.
    »Er ist es! Er ist es! jubelte sie, den Vogel streichelnd, ich erkenne ihn wieder!
    – Wie, rief Fritz, das wäre…
    – Ja ja, Fritz, das ist mein Albatros, mein Gefährte vom Rauchenden Felsen, derselbe, dem ich das Billet ans Bein gebunden hatte, das Dir in die Hand gefallen war.«
    War das wohl möglich? Täuschte sich Jenny nicht? Sollte dieser Albatros, der niemals nach jenem Eiland zurückgekehrt war, jetzt, drei Jahre später, nach dieser Küste geflogen sein?
    Jenny irrte sich indeß nicht, und das zeigte sich handgreiflich, als sie auf ein Bindfadenendchen hinwies, das noch an dem einen Bein des Vogels hing. Von dem Leinwandstückchen, worauf Fritz einige Antwortzeilen geschrieben hatte, war freilich keine Spur mehr zu entdecken.
    Der Albatros war gewiß von sehr weit her gekommen, denn diese kräftigen Luftsegler vermögen überraschend große Strecken zu überwinden. Jedenfalls hatte dieser hier vom Osten des Indischen bis in diese Gegend des Stillen Oceans eine Entfernung von etwa tausend Lieues zurückgelegt.
    Von der Pflege und von den Liebkosungen, die dem Boten vom Rauchenden Felsen zutheil wurden, können wir füglich schweigen. Bildete er nicht eine Art Band, das die Schiffbrüchigen mit ihren Eltern und ihren Freunden in der Neuen Schweiz verknüpfte?
    Zwei Tage später endete das Jahr 1817, das in den letzten Monaten so reich an Unglück gewesen war, und wer konnte wissen, wieviel davon die Zukunft noch in ihrem Schoße barg!

Vierundzwanzigstes Capitel.
Ein Gespräch über den Albatros. – Gutes Einvernehmen zwischen dem kleinen Bob und dem Vogel. – Anfertigung von Kerzen. – Ein neuer Gegenstand des Schmerzes. – Vergebliche Untersuchungen und Verzweiflung. – Ein Schrei des Albatrosses.
    Täuschte sich der Kapitän Gould über die Lage des Eilandes nicht, so konnte der Sommer hier höchstens noch drei Monate andauern. Nach diesen drei Monaten trat der schreckliche Winter ein mit seinen kalten Windstößen und furchtbaren Stürmen. Die schwache Aussicht, draußen auf dem Meere ein Schiff zu erblicken und es durch Signale zu Hilfe zu rufen, war dann ganz entschwunden, denn in dieser Zeit des Jahres meiden die Seefahrer diese gefährlichen Meerestheile. Immerhin vollzog sich bis dahin vielleicht noch eine Aenderung der Sachlage, wenn es auch sehr kühn erschien, auf eine solche zu hoffen.
    Das Leben ging also in derselben Weise weiter, wie seit dem 26. October, dem Unglückstage, an dem die Schaluppe zerstört worden war. Wie schwer wurde den arbeitsfrohen Verlassenen diese Eintönigkeit, diese Unthätigkeit, da es ihnen ja unmöglich war, nur irgend etwas zu unternehmen. Darauf beschränkt, längs des Fußes des Steilufers, das sie gefangen hielt, hinzuirren, ermüdeten ihre Augen durch die unablässige Beobachtung des immer öden Meeres, und sie bedurften wirklich einer außerordentlichen Willensstärke, nicht der Entmuthigung zu erliegen.
    Die langen Tage verstrichen meist unter Gesprächen, die Jenny in Gang zu bringen sich bemühte. Die muthige

Weitere Kostenlose Bücher