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Das zweite Vaterland

Das zweite Vaterland

Titel: Das zweite Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Leitung gebaute Schaluppe. Außerdem wurde auf Verlangen Fritzens eines jener Boote, wie sie die Grönländer benützen, ein sogenannter Kajak, hergestellt, zu dessen Rippen man Knochen eines am Eingange der Flamingobai gestrandeten Walfisches verwendete, während Seehundhäute als Wandbekleidung dienten. Dieses tragbare und infolge seiner Kalfaterung mit Pech und Moos völlig wasserdichte Canot hatte oben nur zwei Oeffnungen für zwei Ruderer, doch konnte die zweite auch hermetisch verschlossen werden, wenn das Fahrzeug nur von einer Person gebraucht werden sollte. Es wurde zuerst auf den Schakalbach gesetzt, der es nach der Rettungsbucht hinaustrug, wobei es sich ganz nach Wunsch bewährte.
    Zehn Jahre verliefen so ohne ernstere Unfälle. Der nun fünfundvierzig Jahre alte Zermatt erfreute sich einer unerschütterlichen Gesundheit, einer geistigen und körperlichen Ausdauer, die die Anforderungen einer so außergewöhnlichen Existenz nur noch verstärkt hatten. Betsie, seine muthige Gattin, die energische Mutter von vier Söhnen, trat jetzt in das dreiundvierzigste Jahr ein. Körperlich kräftig und frischen Herzens, hatte weder die Liebe zu ihrem Gatten, noch die zärtliche Zuneigung für ihre Kinder bei der wackeren Frau abgenommen.
    Der jetzt fünfundzwanzigjährige Fritz zeigte eine bemerkenswerthe Kraft, Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit; er hatte ein hübsches Gesicht, offene Züge, ein sehr scharfes Auge und zeichnete sich durch hohe Charakterfestigkeit aus.
    Ernst, der für seine zweiundzwanzig Jahre mehr als gesetzt erschien und mehr nach geistiger als nach körperlicher Ausbildung strebte, unterschied sich hierdurch von Fritz und hatte sich durch fleißige Benützung der aus dem »Landlord« geretteten Büchersammlung recht umfassende Kenntnisse angeeignet.
    An Jack erkannte man seine zwanzig Jahre. Er war die Lebhaftigkeit selbst, immer in Bewegung, unternehmungslustig wie Fritz und ein Freund der fröhlichen Jagd wie dieser.
    Obgleich der kleine Franz nun schon ein großer Knabe von sechzehn Jahren geworden war, behandelte und liebkoste ihn seine Mutter doch ganz so, als ob er noch ein zehnjähriges Kind wäre.
    Das Leben dieser Familie verlief also so glücklich wie möglich, und wiederholt äußerte sich Frau Zermatt darüber gegen ihren Gatten.
    »Ach, lieber Mann, sagte sie dann, wäre es nicht ein rechtes Glück, wenn wir mit unseren Kindern immer vereint bleiben könnten, wenn wir, auch hier in unserer Einsamkeit, nicht auch einer nach dem anderen dahingehen und unsere Nachkommen in Trauer um die Verlorenen zurücklassen müßten! O, wie würd’ ich den Himmel segnen für das Paradies, das er uns hier geschaffen hat!… Doch, ach!… es wird auch der Tag kommen, wo wir die Augen schließen!«
    Das war der größte Kummer, der immer an Betsies Seele nagte. Wiederholt tauschten Zermatt und sie die Sorgen aus, die sie in dieser Hinsicht drückten. Da trat in diesem Jahre ein Ereigniß ein, das ihre gegenwärtige Lage, vielleicht die ganze Zukunft der Ansiedlung, ändern konnte.
    Als Zermatt mit Ernst, Jack und Franz am 9. April um sieben Uhr früh aus der Wohnung trat, suchte er vergeblich nach seinem ältesten Sohne, den er draußen mit irgend einer Arbeit beschäftigt glaubte.
    Fritz pflegte sich ja häufiger allein zu entfernen, was seine Eltern nicht weiter beunruhigte, obwohl seine Mutter sich immer etwas sorgte, wenn ihr Sohn sich über die Rettungsbucht hinausbegab.
    Es unterlag auch jetzt keinem Zweifel, daß der abenteuerlustige junge Mann sich auf dem Meere befand, denn der Kajak fehlte an seinem Anlegeplatze.
    Als es schon etwas später am Nachmittage war, begaben sich Zermatt, Ernst und Jack auf der Schaluppe nach der Haifischinsel, um dort die Rückkehr des ältesten Sohnes abzuwarten. Um Betsie nicht in Ungewißheit zu lassen, hatte ihr Gatte versprochen, einen Kanonenschuß abzufeuern, wenn seine Heimkehr sich verzögern sollte.
    Das wurde indeß nicht nöthig. Kaum hatte er mit seinen beiden Söhnen den Fuß auf das Eiland gesetzt, als Fritz schon um das Cap der Getäuschten Hoffnung gefahren kam. Sobald sie ihn bemerkten, begaben sich Zermatt, Ernst und Jack in ihr Boot zurück und trafen in der Bucht bei Felsenheim gerade ein, als auch Fritz ans Ufer sprang.
    Dieser mußte nun über seine Fahrt, die gegen zwanzig Stunden gedauert hatte, Bericht erstatten. Seit einiger Zeit hatte er sich schon mit dem Gedanken getragen, die westliche Küste einmal näher in Augenschein zu nehmen.

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