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Das zweite Zeichen

Titel: Das zweite Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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»Das sind die Ausgaben vom Mai.«
»Ach ja, danke.«
»Sind Sie mit Juni fertig?«
»Ja, danke.«
Der junge Mann nickte, schloss die beiden Lederschlaufen an der offenen Seite der Mappe, hievte
das Ganze mit beiden Armen hoch und schlurfte aus dem Zimmer. Auf ein Neues, dachte Holmes und
öffnete diesen letzten Stapel alter Nachrichten und Spaltenfüller.
Rebus hatte Unrecht gehabt. Hier gab es kein altes Faktotum, dessen Gedächtnis einen Computer
ersetzt hätte. Es gab noch nicht mal einen Computer. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als
Seite für Seite umzuschlagen und nach Fotos von vertrauten Orten zu suchen, die durch ungewohnte
Perspektiven ein neues Aussehen erhielten. Wozu? Selbst das wusste er noch nicht, und der Gedanke
frustrierte ihn. Er würde es hoffentlich am Nachmittag erfahren, wenn er sich mit Rebus traf.
Erneut war ein schlurfendes Geräusch zu hören, als der junge Mann zurückkam, diesmal mit
baumelnden Armen und hängender Kinnlade.
»Und warum haben Sie es nicht so gemacht wie Ihre Freunde?«, fragte Holmes im Plauderton.
»Sie meinen, ins Bankgeschäft einsteigen?« Der junge Mann rümpfte die Nase. »Wollte halt was
anderes. Ich will Journalist werden. Und irgendwo muss man ja schließlich anfangen, meinen Sie
nicht?«
Das muss man in der Tat, dachte Holmes und blätterte eine weitere Seite um. Das muss man in der
Tat.

»Es ist immerhin ein Anfang«, sagte McCall und stand auf. Sie knüllten ihre benutzten Servietten
zusammen und warfen sie auf das Tischtuch, das stark gelitten hatte. Was einst eine makellose
Fläche gewesen war, war jetzt voller Brotkrümel und Weinspritzer. An einer Stelle war ein dunkler
Butterfleck, und irgendwer hatte Kaffee verschüttet. Rebus fühlte sich beduselt und
vollgefressen, als er sich mühsam von seinem Stuhl erhob. Seine Zunge war pelzig von zu viel Wein
und Kaffee, und dieser Cognac ­ o Gott! Und jetzt gingen diese Männer wieder arbeiten, oder sie
behaupteten es zumindest. Rebus musste ebenfalls zurück. Hatte er nicht um drei einen Termin mit
Holmes? Aber es war bereits drei Uhr durch. Egal, Holmes würde sich nicht beklagen. Konnte sich
nicht beklagen, dachte Rebus selbstgefällig.
»Nicht schlecht«, sagte Carew und tätschelte seinen Bauch. Rebus war sich nicht sicher, ob er das
Essen oder seine Leibesfülle meinte.
»Und wir haben eine Menge geklärt«, sagte Watson, »das sollten wir nicht vergessen.«
»Natürlich nicht«, sagte Carew. »Ein sehr fruchtbares Treffen.«
Andrews hatte darauf bestanden, die Rechnung zu bezahlen. Musste gut dreistellig sein, überschlug
Rebus rasch. Andrews überprüfte jetzt die Rechnung, hakte jeden Posten ab, als ob er ihn mit der
Preisliste in seinem Kopf vergleichen würde. Nicht bloß Geschäftsmann, dachte Rebus gehässig,
sondern auch ein verdammt guter Schotte. Dann rief Andrews den flinken Oberkellner zu sich und
erklärte ihm leise, dass für eine Bestellung zu viel berechnet worden sei. Der Oberkellner
glaubte Andrews unbesehen, änderte die Rechnung auf der Stelle mit seinem Kugelschreiber und
entschuldigte sich vielmals.
Das Restaurant leerte sich allmählich. Für sämtliche Gäste war die angenehme Mittagspause zu
Ende. Rebus merkte, wie er plötzlich von Schuldgefühlen überwältigt wurde. Er hatte soeben seinen
Anteil an etwa zweihundert Pfund verkonsumiert. Mit anderen Worten für vierzig Pfund gegessen und
getrunken. Manche hatten noch teurer gespeist und verließen jetzt laut lachend den Speisesaal.
Alte Geschichten, Zigarren, rote Gesichter. Sehr zu Rebus' Unbehagen legte McCall ihm einen Arm
um die Schulter und deutete mit dem Kopf auf die Leute, die sich überschwänglich
verabschiedeten.
»Wenn es in ganz Schottland nur noch fünfzig Tory-Wähler gäbe, John, dann wären die alle in
diesem Raum.«
»Das glaub ich gerne«, sagte Rebus.
Andrews, der gerade mit dem Oberkellner fertig war, hatte sie gehört.
»Ich dachte, es gäbe hier oben nur noch fünfzig Tory-Wähler«, sagte er.
Da war es wieder, fiel Rebus auf, dieses ruhige, selbstsichere Lächeln allerseits. Ich habe Asche
statt Brot gegessen, dachte er. Asche statt Brot. Überall um ihn herum war rot glühende
Zigarrenasche, und einen Augenblick lang glaubte er, ihm würde schlecht. Doch dann stolperte
McCall, und Rebus musste ihn fest halten, bis er sich wieder gefangen hatte.
»Bisschen viel getrunken, Tommy?«, sagte Carew.
»Ich brauch bloß etwas frische Luft«, sagte McCall. »John, würden

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