Das zweite Zeichen
sagte Holmes. »Nur noch eines. Es ist eigentlich eher Neugier, aber könnte ich vielleicht
mal einen Blick in Ihr Studio werfen? Ich war nämlich noch nie in einem richtigen Studio.«
Hutton sah Christine an, die ein Grinsen hinter ihren Fingern verbarg, indem sie so tat, als
würde sie an ihrer Zigarette ziehen.
»Klar«, sagte er und musste nun selber grinsen. »Warum nicht? Kommen Sie mit.«
Der Raum war groß, doch ansonsten etwa so, wie Holmes es erwartet hatte, bis auf ein wichtiges
Detail. Ein halbes Dutzend unterschiedliche Kameras standen auf einem halben Dutzend Stativen.
Drei der Wände waren mit Fotos behangen, und die vierte war mit einem weißen Hintergrund
bespannt, der verdächtig nach einem Betttuch aussah. Das war alles ganz normal. Vor diesem
Hintergrund jedoch war die Kulisse für Huttons neuste »Musterkollektion« aufgebaut: zwei große
frei stehende Raumteiler, die rosa angestrichen waren. Und davor stand ein Stuhl, gegen den mit
verschränkten Armen ein gelangweilt aussehender, blonder junger Mann lehnte.
Der Mann war nackt.
»Detective Holmes, das ist Arnold«, stellte Hutton vor, »Arnold ist ein Modell. Das ist doch wohl
nichts Schlimmes?«
Holmes versuchte, seinen Blick von dem Mann loszureißen. Das Blut stieg ihm ins Gesicht. Er sah
zu Hutton.
»Nein, nein, natürlich nicht.«
Hutton ging zu einer Kamera und beugte sich herab, um durch den Sucher zu gucken, den er auf
Arnold richtete. Allerdings nicht in Kopfhöhe.
»Der männliche Akt kann etwas ganz Exquisites sein«, sagte Hutton gerade. »Nichts lässt sich so
gut fotografieren wie der menschliche Körper.« Er drückte den Auslöser, transportierte den Film
weiter, drückte wieder und sah dann zu Holmes, ganz offensichtlich amüsiert über das Unbehagen
des Polizisten.
»Was machen Sie denn mit den...« Holmes suchte nach einem schicklichen Wort. »Ich meine, wofür
sind die?«
»Für meine Musterkollektion, wie ich bereits sagte. Um sie potenziellen zukünftigen Kunden zu
zeigen.«
»Klar.« Holmes nickte, um zu zeigen, dass er verstanden hatte.
»Ich bin Künstler, verstehen Sie, nicht bloß Passbildknipser.«
»Klar«, sagte Holmes und nickte erneut.
»Das ist doch wohl nichts Gesetzwidriges?«
»Ich glaube nicht.« Er ging zu dem mit dichtem Stoff verhangenen Fenster und schielte durch eine
kleine Öffnung. »Sofern es die Nachbarn nicht stört.«
Hutton lachte. Selbst über das ausdruckslose Gesicht des Modells huschte ein kurzes
Grinsen.
»Die stehen Schlange«, sagte Hutton, trat ans Fenster und sah hinaus.
»Deshalb musste ich die Vorhänge anbringen. Schmutzfinken waren das. Frauen und Männer,
drängten sich alle an einem Fenster.« Er zeigte auf ein Fenster in der oberen Etage im Mietshaus
gegenüber. »Da. Eines Tages hab ich sie erwischt und mit der Motorkamera ganz schnell ein paar
Fotos von ihnen gemacht. Das gefiel ihnen gar nicht.« Er wandte sich vom Fenster ab. Holmes
spazierte die Wände entlang, zeigte auf das eine oder andere Foto und nickte Hutton anerkennend
zu. Dieser nahm die Komplimente begierig auf und fing an, neben Holmes herzugehen, um ihn auf
bestimmte Perspektiven oder Kunstgriffe hinzuweisen.
»Das da ist gut«, sagte Holmes und zeigte auf ein Foto vom Edinburgh Castle, eingehüllt in Nebel.
Es war fast identisch mit dem Foto, das er in der Zeitung gesehen hatte, und ähnelte deshalb auch
sehr dem in Ronnies Zimmer. Hutton zuckte die Achseln.
»Das ist nichts«, sagte er und legte Holmes eine Hand auf die Schulter.
»Hier, sehen Sie sich mal ein paar von meinen Aktaufnahmen an.«
Ein Dutzend Schwarzweißfotos im Format fünfundzwanzig mal dreißig hingen zusammen in einer Ecke
des Raumes an der Wand.
Männer und Frauen, nicht alle von ihnen jung und schön. Aber ziemlich gut aufgenommen, vielleicht
sogar künstlerisch, vermutete Holmes.
»Das sind nur die besten«, sagte Hutton.
»Die besten oder die geschmackvollsten?« Holmes versuchte, die Bemerkung nicht wertend klingen zu
lassen, doch trotzdem war Huttons gute Laune dahin. Er ging zu einer großen Kommode, zog die
unterste Schublade auf, nahm eine Ladung Fotos heraus und warf sie auf den Boden.
»Da, schauen Sie doch selbst«, sagte er. »Das ist keine Pornografie. Nichts Schmieriges oder
Ekliges oder Obszönes. Das sind nur Körper. Körper in den verschiedensten Posen.«
Holmes blickte auf die Fotos herab, schien ihnen aber nicht viel Aufmerksamkeit zu
schenken.
»Tut mir Leid«, sagte er, »wenn es sich so
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