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Das zweite Zeichen

Titel: Das zweite Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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in dem irgendein Gericht das verstehen würde. Es gab Personen,
menschliche Verfehlungen, Fragen ohne Antworten. Sogar Gesetzesübertretungen.
Aber es gab keinen Fall. Das war das Frustrierende. Wenn es doch nur einen Fall gäbe, etwas
halbwegs Strukturiertes, etwas Greifbares, an dem er sich fest halten könnte. Irgendetwas
Konkretes, das er sichtbar hochhalten könnte: seht her, hier ist es. Doch es gab nichts
dergleichen.
Alles war gestaltlos wie Kerzenwachs. Aber Kerzenwachs hinterließ
doch Spuren. Und nichts verschwand jemals völlig. Stattdessen veränderten die Dinge ihre Form,
Substanz und Bedeutung. Ein fünfzackiger Stern innerhalb von zwei konzentrischen Kreisen hatte an
sich keine Bedeutung. Für Rebus sah er bloß so aus wie der Sheriffstern aus Blech, den er als
Junge gehabt hatte. Gesetzeshüter des Cowboy-Staates Texas mit Blechabzeichen und sechsschüssigem
Spielzeugrevolver im Plastikholster.
Für andere war er das Böse an sich.
Er erinnerte sich daran, mit wie viel Stolz er jenes Abzeichen getragen hatte, als er dem Stern
den Rücken kehrte und die Treppe hinaufging.
Hier hatte der Krawattenklipp gelegen. Er ging an der Stelle vorbei in Ronnies Zimmer, trat ans
Fenster und schielte durch einen Spalt zwischen den Brettern, die über die Scheibe genagelt
worden waren. Das Auto stand jetzt nicht weit von seinem Auto entfernt. Das Auto, das ihm von der
Wache gefolgt war. Das Auto, das er sofort als den Ford Escort erkannt hatte, der vor seiner
Wohnung gewartet hatte und dann dröhnend davongerast war. Jetzt war es hier, parkte neben dem
ausgebrannten Cortina. Es war hier. Sein Fahrer war hier. Das Auto war leer.
Er hörte den Dielenboden ein einziges Mal knarren, und wusste, dass der Mann hinter ihm
war.
»Sie müssen sich hier aber gut auskennen«, sagte er. »Sie haben es geschafft, nicht auf die
knarrenden Stufen zu treten.«
Er wandte sich vom Fenster ab und leuchtete mit seiner Taschenlampe in das Gesicht eines jungen
Mannes mit kurzen dunklen Haaren. Der versuchte seine Augen vor dem Lichtstrahl zu schützen.
Rebus richtete die Lampe auf den Körper des Mannes.
Er trug eine Polizeiuniform.
»Sie müssen Neil sein«, sagte Rebus ganz ruhig. »Oder ziehen Sie Neilly vor?«
Er ließ die Lampe auf den Fußboden leuchten. Das gab ausreichend Licht, um zu sehen und gesehen
zu werden. Der junge Mann nickte.
»Neil ist okay. Nur meine Freunde nennen mich Neilly.«
»Und ich bin nicht Ihr Freund«, sagte Rebus und nickte bestätigend.
»Aber Ronnie, der war Ihr Freund, nicht wahr?«
»Er war mehr als das, Inspector Rebus«, sagte der Constable und trat ins Zimmer. »Er war mein
Bruder.«
In Ronnies Zimmer gab es nichts, wo sie sich hinsetzen konnten, doch das machte nichts. Keiner
von ihnen hätte länger als ein bis zwei Sekunden still sitzen können. Sie steckten beide voller
Energie. Neil musste seine Geschichte loswerden, und Rebus wollte sie unbedingt hören. Rebus
machte den Platz vor dem Fenster zu seinem Territorium und ging dort unauffällig auf und ab. Ab
und zu hielt er mit gesenktem Kopf inne, um Neils Worten mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Neil
blieb in der Nähe der Tür, bewegte sie an der Klinke hin und her und lauschte jedesmal auf den
Moment, wo die Tür anfing zu quietschen.
Dann bewegte er sie ganz langsam weiter, um das Geräusch voll auszukosten. Die Taschenlampe gab
die passende Beleuchtung für die Szene ab, indem sie wilde Schatten an die Wände warf und das
Profil eines jeden der beiden Männer als Silhouette zeigte, den Redner und den Zuhörer.
»Natürlich wusste ich, was mit ihm los war«, sagte Neil. »Er mag zwar älter gewesen sein als ich,
aber ich kannte ihn immer besser als er mich. Ich wusste, was in ihm vorging.«
»Also wussten Sie, dass er ein Junkie war?«
»Ich wusste, dass er Drogen nahm. Damit hat er schon in der Schule angefangen. Einmal wurde er
erwischt und ist fast von der Schule verwiesen worden. Doch sie haben ihn nach drei Monaten
wieder aufgenommen, damit er seine Prüfungen machen konnte. Er hat sie alle bestanden. Das kann
ich von mir nicht behaupten.«
Ja, dachte Rebus, Bewunderung konnte einen auf einem Auge blind machen...
»Nach den Prüfungen ist er abgehauen. Wir haben monatelang nichts von ihm gehört. Meine Eltern
sind fast durchgedreht. Dann haben sie ihn völlig aus ihrem Leben verbannt, einfach
abgeschrieben. Es war, als würde er nicht existieren. Ich durfte ihn zu Hause nicht mehr
erwähnen.«
»Aber er

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